Lesereise Paris
Couscous-Spezialisten gezählt. Libanesen, Afghanen, Tibeter, Südamerikaner, Inder, Portugiesen, Russen und viele andere haben ebenfalls ihre sichere clientèle . Und gleich neben dem Löwenbräu selig floriert weiterhin das »Copenhagen«. Eingegangen ist dagegen – zusammen mit den Deutschen – der einzige Ungar.
Hand in Hand mit dem Rückzug der Deutschen aus der Pariser Küche machten sich die Biere aus Bayern und dem Rest des Bundes rar. Vor einem halben Jahrhundert, als noch der Schlagschatten des Krieges über dem Deutschlandbild der Franzosen lag, hatte praktisch jedes Pariser bistrot neben heimischem Gebräu einen Hahn für »Poolanär« (Paulaner), »Es-patän« (Spaten) oder das unaussprechliche »Pschorr«. Man konnte überall »un demi Munich« bestellen, wobei die Halbe in Frankreich einen Viertelliter bedeutet. Für Zaghafte gab es den »Bock«, keine Sorte, sondern einen Zehntelliter Bier im Rotwein-Ballon.
Vorbei. Brauereien aus Belgien, Irland, England, Holland, Dänemark, Mexiko sind an den Theken im Vormarsch. Die Halbe aus München ist daneben längst nicht mehr selbstverständlich. Eine Zeit lang hatte noch Bitburger Pils einen gewissen Heiterkeitserfolg: Sein Werbespruch »Bitte ein Bit« enthält phonetisch gleich zweimal das gebräuchliche französische Wort für das männliche Organ. Aber auch dieser unfreiwillige Spaß brachte keine haltbare Konsumgewohnheit hervor.
Paris im Sommerschlaf
Wenn die Suche nach einer frischen »baguette« zum Tagesprogramm wird
Brot vom Backterminal oder vom Bäcker? Seit 1. Januar 1997 ist diese für Frankreichs Esskultur entscheidende Frage gesetzlich geregelt: Die vertrauensbildende Aufschrift Boulangerie , zu Deutsch Bäckerei, dürfen hinfort nur noch Betriebe tragen, die ihren Teig selber mischen, kneten, formen und backen. Wer von einer Großmühle tiefgefrorene Masse bezieht, diese nur auftaut und seine baguette eine Stunde später verkauft, muss auf Fantasiebezeichnungen wie »Pauls Backofen« ausweichen, die schon jetzt umso bodenständiger klingen, je mehr sie die traurige Wahrheit verschleiern.
Denn mit dem täglichen Brot der Franzosen geht es bergab. Zu Beginn des Jahrhunderts aßen sie im Durchschnitt neunhundert Gramm pro Tag, heute sind es nur noch hundertfünfzig Gramm, viel weniger als in Deutschland. Das Sprichwort »lang wie ein Tag ohne Brot« scheint nicht mehr zu gelten. Nach der fotogenen Figur mit der Baskenmütze und der baguette unter dem Arm spähen Ausländer oft lange. Und viele Franzosen müssen weite Wege machen, um einen unter sechsunddreißigtausend Bäckern zu finden, dessen Brot wie früher schmeckt.
Die industrielle Revolution hat die Backstuben erreicht. Eine politische Revolution wie 1789, bei deren Entstehen Preis und Qualität des Brotes eine erhebliche Rolle spielten, bricht deshalb nicht mehr aus. Schon jede sechste baguette kommt aus einer Brotfabrik. Sogar vor Brotstangen in der Plastikhülle schrecken abgestumpfte Verbraucher nicht mehr zurück. Und mehr als dreitausend Bäckerläden, die wie Handwerksbetriebe aussehen, sind in Wirklichkeit Backterminals. Die Besitzer rühmen sich, dass ihre baguette nicht schlechter ist als die von Hand hergestellte. Das Schlimmste ist, oft stimmt es.
Paris, im August – das bescheidene Stangenweißbrot weckt begehrliche Blicke. Endlich bricht einer der Wartenden an der Bushaltestelle das Schweigen: »Wo haben Sie es gekauft?« Der Bäcker an der Ecke hat zu. Der in der nächsten Querstraße auch. Und das Lebensmittelgeschäft mit Brotdepot, schräg gegenüber, hat gleichfalls die Fensterläden geschlossen. »Fermeture annuelle – Jahresschließung«, was im Klartext nichts anderes als Ferien bedeutet, steht auf vorgedruckten Zetteln, welche die Geschäftsleute mit Angabe des Wiederöffnungsdatums an die leeren Fenster hängen. Es braucht in französischen Wohnvierteln – abseits der Touristenpfade – zwischen 14. Juli und Anfang September oft lange Umwege, um an eine baguette zu kommen.
»Die traditionelle Sommerpause gibt es nicht mehr«, meldete der Frankreichkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in den dynamischen siebziger Jahren. Das stimmte damals, aber das Pendel hat seither zurückgeschlagen. Nicht nur Läden, sondern auch immer mehr Fabriken und Büros gehen wie früher in den Sommerschlaf. Die Zahl der Firmen, in denen die Arbeit im Juli und August völlig ruhte, war von einstmals achtzig Prozent bis Mitte der achtziger Jahre auf siebenunddreißig
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