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Lesereise Schottland

Lesereise Schottland

Titel: Lesereise Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Sotscheck
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der höchste Punkt der Linie. Dicht neben den Gleisen grasen ein Dutzend Rehe in der Heide.
    Bei Luibruaridh lässt der Zug die Wildnis hinter sich, die Landschaft wird grüner und sanfter. Tief unten liegt Loch Treig, doch die Strecke ist jetzt abschüssig, sodass der Zug schon bald auf der Höhe des Ufers ist und dann am Fluss Spean entlangfährt. Das Tal wird bis zur Monessie-Schlucht immer schmaler. Die Wasserfälle bei Monessie seien, so heißt es in dem alten Eisenbahnführer, »die Verkörperung des Geistes der Highlands: stolz, turbulent und unbezähmbar«.
    Der Bahnhof Roy Bridge besteht lediglich aus einem kleinen Plastikunterstand in den Büschen. Rechts davon erhebt sich der Mullroy, auf dem im 17. Jahrhundert die letzte Schlacht der clans in Schottland stattgefunden hat. Links vom Bahnhof, im Keppoch House, lebte früher der clan chief der McDonells von Keppoch. Als er 1663 starb, kamen seine beiden Söhne aus dem Internat in Frankreich zurück und luden ihre sieben Cousins zum Essen ins Haus ein. Die undankbaren Vettern brachen einen Streit vom Zaun, erdolchten die Brüder und rissen sich deren Erbe unter den Nagel. Als der Barde von Kippoch, der alte Ian Lom, davon hörte, besorgte er sich im nördlich gelegenen Invergarry Verstärkung, zog mit fünfzig Mann zum Keppoch House und schnitt den sieben Cousins die Köpfe ab. Dann ritt er mit seiner Beute im Gepäck zurück nach Invergarry und warf die Köpfe unterwegs in einen Brunnen am Ufer des Loch Oich. Der Brunnen heißt heute Tobar-na’n-Ceann , »Brunnen der Köpfe«.
    Die Gleise führen jetzt am Südufer des Spean nach Spean Bridge, wo man früher nach Fort Augustus umsteigen konnte. Die Strecke, die 1903 eröffnet worden war, wurde bereits drei Jahre später vorübergehend und 1933 endgültig geschlossen. Heute fährt ein Bus vom Bahnhof nach Invergarry und Fort Augustus. Die Gärten hinter den kleinen Reihenhäusern reichen bis an den Bahndamm, und kurz darauf tauchen schon die ersten Ausläufer von Fort William auf.
    Fort William liegt am Fuße des tausenddreihundertvierundvierzig Meter hohen Ben Nevis, des höchsten Berges Großbritanniens, der aber meist in Nebel gehüllt ist. Der Ort ist das bedeutendste Fremdenverkehrszentrum der westlichen Highlands, er ist sowohl mit dem Atlantik im Westen als auch, durch den Caledonian Canal, mit der Nordsee verbunden. Mit dem Aufschwung des Tourismus ist Fort William rasch gewachsen. Reiseführer aus den siebziger Jahren geben Einwohnerzahlen von fünftausend an, heute sind es mehr als doppelt so viele. Der Kopfbahnhof von Fort William ist die Endstation des Western Highlander. Um nach Mallaig an der Nordwestküste zu gelangen, muss man in einen Vorortzug umsteigen.
    Als die Western Highland Railway nach Fort William 1894 fertiggestellt war, setzten schon bald Bemühungen ein, die Strecke nach Mallaig zu verlängern. »Damals stießen die Bedürfnisse der benachteiligten Regionen nicht auf vollkommen taube Ohren bei der Regierung«, heißt es mit vorwurfsvollem Unterton in einer Eisenbahnbroschüre. Dennoch dauerte es mehr als vier Jahre, bis die fünfundsechzig Kilometer lange Strecke durch Täler, über Flüsse und unter Bergen hindurch fertiggestellt war. Dabei wandte man neue Bautechniken an und benutzte einen damals relativ neuen Baustoff: Beton. Am 1. April 1901 wurde die Bahn in Betrieb genommen.
    Zwischen Fort William und Mallaig wohnten damals nur fünf Menschen pro Quadratkilometer, was viele am Sinn der Strecke zweifeln ließ. So wurden zunächst vor allem Fisch und Schlachtvieh mit der Bahn transportiert. An der Bevölkerungsdichte, so scheint es, hat sich bis heute nichts geändert, doch im Sommer ist in dem Zug kaum ein Sitzplatz frei, weil die Strecke bei Touristen sehr beliebt ist. Die Eisenbahngesellschaft setzt deshalb während der Saison auch Dampflokomotiven ein.
    Nachdem der Zug den Caledonian Canal bei Bonavie überquert hat, lässt er die hässlichen Wohnsiedlungen und das Industriegebiet von Corpach schnell hinter sich und fährt für eine Weile am Ufer des Loch Eil entlang, bis er nach Westen in Richtung Glenfinnan abbiegt. Die Strecke ist ein Meisterwerk der Baukunst: Immer wieder mussten Tunnel in die Berge gesprengt und Viadukte über Täler und Gewässer gebaut werden. Der längste Viadukt bei Glenfinnan, wo der Finnan in den Loch Shiel mündet, ist hundertsiebenunddreißig Meter lang und besteht aus einundzwanzig Bögen, die bis zu dreiunddreißig Meter hoch sind. Südlich

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