Lesereise Schottland
weiß ich nicht. Aber wir müssen es wenigstens versuchen.«
John Pottinger ist Lachsfarmer in Scalloway an der Westküste von Mainland. Der kleine Fischerort liegt vierzig Kilometer von Garths Ness entfernt, wo die »Braer« auf den Felsen aufgelaufen ist. Der Zweiundvierzigjährige hat ein weiches, rotes Gesicht und trägt eine imprägnierte Latzhose, eine gefütterte blaue Jacke und gelbe Gummistiefel. Er hat seit dem Tankerunglück nicht mehr geschlafen, verfolgt ständig die Berichte des Shetland-Radiosenders über die Ausbreitung des Rohöls. »Es ist schon fünf Kilometer vor Scalloway«, sagt er. »Das Schlimme daran ist, dass man nichts tun kann, sondern hilflos zuschauen muss. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Öl unsere Bucht erreicht.«
Wir sitzen an einem runden Resopaltisch im Fisherman’s Arms, einer kleinen Hafenkneipe in Scalloway. Die Bar ist mit einer bronzenen Schiffsglocke, einem Kompass und anderen Seefahrtsutensilien dekoriert. An den Wänden hängen etwa zwanzig alte Zeichnungen von Schiffen, daneben eine moderne CD -Musikbox. Im Mittelpunkt der Kneipe steht ein ramponierter Billardtisch, der von einer mit Draht befestigten, verrosteten Lampe beleuchtet wird. Auf den Barhockern sitzen acht Fischer, die wegen des Sturms heute nicht hinausfahren können und schon am Nachmittag ziemlich betrunken sind.
Auch Pottinger wollte eigentlich nach seinen Lachskäfigen sehen, um zu kontrollieren, ob das Unwetter weitere Schäden angerichtet hat. Am Vortag sind bereits zwei Käfige mit je vierzehntausend Lachsen vom Sturm mit Windstärke zwölf zerfetzt worden. »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an«, sagt er. »Ich bin ohnehin ruiniert, wenn das Öl kommt.« Pottinger hat vor fünf Jahren mit der Lachszucht begonnen. »Im vergangenen Jahr hatten wir zum ersten Mal eine ausgeglichene Bilanz«, erzählt er. »Die Kosten für die Käfige und das Boot sind sehr hoch. Außerdem muss ich meine Leute bezahlen.« Inzwischen besitzt Pottinger hundertsiebzigtausend Lachse. Die Fische wiegen zurzeit höchstens ein Kilo. »Wenn die Lachse im August ihr volles Gewicht erreicht haben, bekommen wir zwölf Pfund pro Stück«, sagt er. »Mit ihrem jetzigen Gewicht sind sie aber nur ein Pfund fünfzig wert.« Die Versicherung zahlt dagegen drei Pfund fünfzig pro Lachs. »So pervers das ist: Wir könnten es uns finanziell gar nicht leisten, die Lachse vor dem Öl zu retten und sie schnell zu verkaufen, selbst wenn das ginge«, sagt Pottinger. »Aber in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, wäre das sowieso nicht zu schaffen.«
Auf Mainland gibt es sechzig Lachsfarmen. Zwölf davon liegen bei Scalloway. Sie sind als Erste vom Öl betroffen. »Normalerweise haben wir in dieser Jahreszeit Südwestwinde«, sagt Pottinger. »Seit einer Woche herrscht jedoch Sturm aus Süden und Südosten, der das Öl die Westküste hinauftreibt.« Da die Lachszucht ein risikoreiches Geschäft ist, musste er eine persönliche Haftung in Höhe von fünfundzwanzigtausend Pfund übernehmen, um den Bankkredit zu erhalten. »Von diesem Verlust kann ich mich nicht erholen«, fürchtet er. »Ich müsste praktisch von vorne anfangen, zumal die Versicherungen keine Käfige versichern, die älter als fünf Jahre sind. Doch die Banken werden mir den Hahn zudrehen.«
Verschiedene Supermärkte haben Fisch von den Shetlands bereits aus den Regalen genommen. »Da werden alle über einen Kamm geschoren«, sagt Pottinger. »Dabei ist bisher doch erst ein Teil der Inseln betroffen. Es ist eine Katastrophe, nicht nur für mich. Shetland lebt vom Meer.« Er macht jedoch die Besatzung der »Braer« nicht für das Unglück verantwortlich: »Sie haben den kürzesten Weg gewählt, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Doch die britische Regierung hätte die schmale Straße südlich von Mainland für Tanker sperren müssen. Das konnte sie jedoch nicht, da sie nicht die entsprechende UN -Resolution unterzeichnet hatte, die das erlauben würde – aus Angst, dass andere Länder dann bestimmte Strecken für britische Tanker sperren würden.«
Die überwiegend philippinische Besatzung der »Braer« hatte sich bei der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft über niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und zu hohe Arbeitsbelastung beschwert. Der stellvertretende Generalsekretär der Gewerkschaft, Tony McGregor, sagte: »Wir würden gerne wissen, wie viele Mitglieder der Besatzung zur Zeit des Unglücks Dienst hatten.« Die Mannschaft des
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