Lesereise - Schweden
gleichgültig. Er sitzt nur fasziniert da, schaut und staunt. So viel Natur. Wohin sein Auge auch blickt: Berge, Flüsse, Seen – und weit und breit ist kein Haus, keine Straße zu sehen.
Wer die gesamte Strecke des Kungsleden abwandert, kommt nur dreimal durch ein Dorf. Dennoch gibt es die wirkliche Einsamkeit erst südlich des Kebnekaise. Alle Wege und Pfade im Umkreis von zwei bis drei Tagesmärschen um Abisko sind im Sommer gut »belaufen«. Im Vergleich zu den Alpen erscheint einem die Gegend zwar immer noch menschenleer. Doch der Kungsleden ist eine der beliebtesten Trekkingtouren des Nordens. Und so sind die Hütten des STF fast immer ausgebucht.
Das war auch damals schon so. Aber nicht nur deswegen, und um sein Portemonnaie zu schonen, schläft der junge Mann im Zelt. Er will vor allem die Natur für sich alleine genießen. Ohne fremden Schweißgeruch oder das nächtliche Schnarchen des Nebenmanns auf der schmalen Holzpritsche in der Hütte. Er möchte ungestört einen Blick auf einen Polarfuchs erhaschen, Rentiere und Vögel beobachten. Damals wusste der junge Mann sogar noch ihre Namen, heute erinnert er sich immerhin noch an ihr Aussehen und ihren Gesang.
Aber nicht alle Namen hat er vergessen. An die schönsten Seen kann er sich noch erinnern: den Alesjaure, den Kaitumjaure oder den Teusajaure. Jaure ist das samische Wort für See – und hier scheint es Synonym zu sein für »tiefblau« oder »glasklar«. Der Teusajaure hat sogar einen Sandstrand. Einen kleinen nur, aber der Siebzehnjährige fühlt sich hier im warmen Sommer des hohen Nordens fast wie an einem Strand in der Südsee. Auch ohne Palmen. Und so könnte er sich, wenn er die Augen schließt, ganz leicht weit weg träumen. Doch warum sollte er – schöner als am Kungsleden würde es an keinem anderen Ort der Welt sein. Es ist an den Ufern der »Jauren«, wo der junge Mann sein Herz besonders laut pochen hört und sich verliebt – in ein Land namens Schweden.
Das Jantegesetz
Warum in Schweden alle »duktig« sind
Mein Freund Lasse hat einen wichtigen Journalistenpreis gewonnen. Das sei allerdings »kaum der Rede wert«, findet er. Selbst wenn man ihm den Nobelpreis verliehe, würde er nicht anders reagieren. Denn Lasse ist Schwede. Somit gilt für ihn ein ungeschriebenes Gesetz, das »Jantegesetz«. Dieses besagt, grob zusammengefasst, dass man niemals glauben soll, etwas Besseres als die anderen zu sein.
»Erfunden« hat das Gesetz der dänische Schriftsteller Axel Sandemose in seinem Roman »Ein Flüchtling kreuzt seine Spur« aus dem Jahre 1933. Benannt ist das Gesetz nach der fiktiven dänischen Stadt Jante, Gültigkeit hat es aber im ganzen Norden.
Interpretiert man es positiv, steht das Jantegesetz für Bescheidenheit und Gerechtigkeit. Lagom sagen die Schweden, wenn etwas weder besonders gut noch besonders schlecht ist – also »genau richtig«. Mittelmaß eben – trotzdem wäre das die falsche Übersetzung. Unser »Mittelmaß« hat nämlich eine negative Bedeutung, das schwedische lagom hingegen ist durch und durch positiv gemeint. Lagom är bäst , »genau richtig ist das Beste«, lautet ein schwedisches Sprichwort. Schon der Ursprung des Wortes lagom gibt einen Hinweis auf seine heutige Bedeutung. Früher tranken die Wikinger nämlich alle gemeinsam aus einem einzigen Trinkhorn. Das ging reihum – also laget om . Damit es keinen Streit gab, mussten alle gleich viel trinken, jeder so viel, dass es »gerade recht« war – lagom eben.
Will man einem Schweden ein Kompliment machen, dann sagt man ihm, dass er ein ganz normaler Kerl sei, so einer wie alle anderen auch. Damit macht man ihm garantiert eine Freude, egal ob er Handwerker, Nobelpreisträger oder der König ist.
Während man in den meisten anderen Ländern danach strebt, der Beste zu sein, bemüht man sich in Schweden, so wenig wie möglich aus der Menge herauszuragen. Deswegen sind in der Schule auch alle duktig . Alle sind tüchtig, alle sind gut. Schlecht ist in Schweden kein einziger Schüler, und deswegen gibt es nur drei Noten. Und das auch erst ab der achten Klasse. Während der ersten fünf Schuljahre werden die Schulleistungen nur mündlich bewertet. Von der fünften bis zur siebenten Klasse gibt es zwar Zeugnisse, in denen stehen aber nur aufmunternde Kommentare. Auch das Notensystem, das in der Klasse danach beginnt, nimmt sich im Vergleich zu Deutschland recht harmlos aus. Man unterscheidet nur zwischen godkänd , väl godkänd , und mycket väl
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