Lesereise Schweiz
bringen.
Alles hängt miteinander zusammen. In Gstaad landen die Gäste mit dem Helikopter oder dem eigenen Jet auf dem kleinen Flugplatz Saanen. Die Dichte von luxuriösen Limousinen und Sterneköchen ist höher als in den meisten anderen Dörfern in der Schweiz. In dem verträumten Tal im Berner Oberland hat Reichtum Tradition. Nach Gstaad kommt Prominenz aus Adel, Wirtschaft, Finanzwelt, Kunst und Kultur, jene VIP s, die vor allem eines schätzen: in Ruhe gelassen zu werden. Die Gastgeber bieten dafür seit mindestens einem Jahrhundert die Gewähr. Diskretion ist oberstes Gebot. Schaulaufen, Programmjäger und Paparazzi, wie im mondänen Zermatt oder in St. Moritz, gibt es in Gstaad nicht.
Wie vielen Prominenten sie private Skistunden gegeben hat und wie sie heißen, wird Anita Roth nicht verraten. »Es sind viele«, sagt sie diskret. Die gelernte Apothekerin sattelte vor Jahren um, führt Gäste durchs Dorf oder erteilt Skiunterricht. »Publicity würde unserem Berufsstand das Genick brechen.« Und doch fällt es den Einheimischen manchmal schwer, den Stolz zu zähmen. Unter der Hand kursieren viele Namen der internationalen Prominenz, die den Ort schon beehrt haben. Liz Taylor und Gunter Sachs gehören dazu, Richard Burton, Roger Moore, Tony Curtis, Michael Jackson, Sophia Loren, Audrey Hepburn, Jacqueline Kennedy, Winston Churchill, der König von Spanien, Bernie Ecclestone, Yehudi Menuhin, Louis Armstrong, Tina Turner, Liza Minelli, Quincy Jones und Axel Springer.
Für die Gstaader gehören sie zum Alltag, auch wenn auf den Parkplätzen nicht nur Bentleys und Ferraris stehen. »Jeder Gast ist ein König, aber jeder König ist auch nur ein Gast«, sagt Anita und meint es philanthropisch: »Jeder von uns ist ein VIP .« Im Dorf hat man einen Sinn für das soziale Miteinander. Wer auf der Straße einen Star erkennt, rot wird und um ein Autogramm bittet, der ist hier peinlich. Furcht vor der Zukunft bedeutet in Gstaad nicht die Gletscherschmelze, sondern der Medienrummel. Deshalb rollte Ende 2009 eine bedrohliche Lawine wie ein Albtraum ins beschauliche Saanental. Starregisseur Roman Polanski wurde mit elektronischer Fußfessel in seinem Gstaader Chalet unter Hausarrest gestellt. Die USA hatten seine Auslieferung verlangt, um ihm den Prozess in einem alten Missbrauchsfall zu machen. Vor seiner Auffahrt lauerte täglich eine Meute von Journalisten und Fotografen. Zwar hatte Polanski das Gefängnis in Winterthur verlassen dürfen, doch hier saß er im Medienknast. Das reiche, ruhige Gstaad war angewidert. Als Polanski kurz darauf von der Berlinale 2010 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie geehrt wurde, waren die Gstaader mit der »guten Presse« wieder etwas versöhnt.
Im Saanenland schätzt man Idylle auf hohem Niveau. Das Berner Oberland geizt in dieser Gegend mit Charaktergipfeln. Die Bergwelt ist eher flach, das Wasserngrat erreicht knapp die Zweitausend-Meter-Grenze, das Lauenenhorn immerhin beinah zweitausendfünfhundert Meter und der Giferspitz wenig darüber. Die sonnenverbrannten Gstaader Berghäuser, Chalets genannt, umspannen einen Höhenzug von gut tausend Metern und gehören zur Gemeinde Saanen, die aus neun Dörfern mit rund siebentausend Einwohnern besteht. Gstaad rühmt sich, nicht verschandelt zu sein. Der Chaletstil ist ein ländlicher Haustyp, der aus Holz gefertigt ist und ein flaches Satteldach mit weitem Dachüberstand besitzt und an Charme schwer zu überbieten ist. Vorbild ist das Saanehus aus dem 16. Jahrhundert, das etwas außerhalb des Zentrums überdauert hat. Feine farbige Schnitzereien schmücken die Fassade, zwei Treppen schwingen sich an den Seiten empor, an den Balkonen Geranienromantik. Seit 1958 gibt es strikte Bauvorschriften, um den traditionellen Dorfcharakter zu bewahren und Bausünden zu vereiteln. Der Grundsatz lautet: In Gstaad sind die Häuser aus Holz – Privathäuser, Hotels und Gaststätten. Eine Holzverkleidung ist das Mindeste. Mehr als drei Etagen sind nicht drin – nach oben. »Auch die Reichen müssen sich an die Bauvorschriften halten«, meint Anita. Sie weiß allerdings, dass manche Promi-Chalets drei bis vier in den Fels getriebene Kellergeschosse haben. »Was unten geschieht, geht niemanden etwas an.«
Den Aufstieg vom einfachen Bauerndorf zum exklusiven Ferienort kam Anfang des 20. Jahrhunderts. Genau genommen verdankt ihn Gstaad den Internationalen Elite-Internaten vom nahen Genfersee, die für die Kinder aus reichen Familiendynastien
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