Lesereise Schweiz
drängen in die Souvenirshops, die Restaurants oder das altehrwürdige Hotel »Bellevue des Alpes«, das seit der Gründerzeit das Basislager aller Bergsteiger ist und alles daransetzt, den modernen Zeitgeist zu vermeiden.
Auf dem Platz vor dem Grandhotel werden Cliff und sein Bernhardiner Sennenhund von einer Gruppe aus Korea entdeckt. Beide bewahren stoische Ruhe, vor allem der zottelige Asti mit dem lebensrettenden Fässchen am Hals, als sie von den Asiaten begeistert überfallen werden. Sofort ist der Dolmetscher zur Stelle, und schon postiert sich die Gruppe mit Asti in der Mitte vor dem Alpenpanorama. Der Zweimetermann aus Kalifornien, der nicht auf das Foto passt, hat ein einträgliches Geschäft. Wenn die Gruppe gegessen hat, sind die Bilder fertig, und jeder erhält für ein kleines Vermögen sein Top-Souvenir.
Die Zahnradbahn zum Jungfraujoch überwindet innerhalb von fünfzig Minuten die restlichen fünfzehnhundert Höhenmeter. Die neun Kilometer lange Tunnelschlaufe führt durch die Berge Eiger und Mönch. Die unterirdische Endstation auf dreitausendvierhundertvierundfünfzig Metern erinnert an eine moderne Flughafen-Mall. Auf mehreren Etagen warten Andenkenläden, drei Restaurants, ein Selfservice-Restaurant, eine Cafeteria und die Aussichtsterrasse auf den Ansturm. Der Sphinx-Lift bewältigt innerhalb von Sekunden weitere hundert Meter. Oben schlägt einem der schnelle Aufstieg gleich auf den Kreislauf. Doch solche Ausblicke fordern eben Tribut. Vom Aussichtsplateau zeigt sich der längste Eisstrom der Alpen in seiner ganzen Großartigkeit, der Aletschgletscher.
Der Jungfraubahn AG in Interlaken war die alte Zahnradbahn schon lange viel zu langsam gewesen: mehr als sechs Stunden beträgt die reine Fahrzeit von der Talstation in Grindelwald bis auf die Jungfrau und zurück. Weil die Touristen aus Asien keine Zeit verlieren dürfen, kam die Idee für einen Schnell-Lift auf: in zwanzig Minuten von achthundertfünfzig auf dreitausendvierhundertfünfzig Meter – die Reise auf das Jungfraujoch als Halbtagsausflug. Als langfristiges Ziel waren täglich sechstausend und jährlich eine Million Gäste anvisiert. Wenn schon am Berg keine neuen Rekorde zu erwarten sind, dann wenigstens hier. Die Sehnsucht nach neuen Pioniertaten auch im Bahnenbau ist groß. Technisch machbar, hatten die Ingenieure gemeint, und wollten einen Tunnel von oben nach unten in den Fels sprengen. Schon das spektakuläre Bauwerk selbst hätte noch mehr Besucher angezogen und hätte im Wettrüsten mit anderen Alpendörfern Grindelwald nach ganz vorne gebracht. Doch dann explodierten die Kosten. Der schweizerische Alpentraum vom spektakulären Lift, der Touristen in Windeseile aufs Jungfraujoch katapultieren sollte, zerplatzte 2008 im Zuge der weltweiten Finanzkrise.
Während auf der Kleinen Scheidegg und dem Jungfraujoch auch ohne den Lift schon die Hölle los ist, ist der Wanderweg namens Eiger Trail fast romantisch. Der dreistündige Panoramaweg von Grindelwald zur Mittelstation ist zwar für Alpinisten anspruchslos, aber man hat die vertikale Nordwand ständig im Blick. Was für eine Kulisse! Wie mag das sein, da zu hängen? Welche Ängste steht man da aus, warum tut man das? Das Auge sucht nach der »Götterquerung« und dem »Todesbiwak«, wo 1936 der erschöpfte Toni Kurz im Seil hängend starb – wenige Meter von den Rettern entfernt.
Der schmale Bergweg schlängelt sich immer unterhalb der Felswand entlang. Während des nachdenklichen Innehaltens überholt eine Gruppe von Japanern und alle grüßen lächelnd: »Glüzi.«
Von Gletschern und Töpfen
Luzern am Palmenstrand
Elefantenähnliche Tiere weiden an der Küste, auf einer Sandbank im Fluss tummeln sich Flamingos. Hinter dem flachen Sandstrand wachsen prächtige Feigenbäume und andere exotische Pflanzen, die heißes Klima lieben und Schnee und Eis tunlichst meiden. Luzern mit Tropenflair – und im Hintergrund die Alpen. Unvorstellbar, wenn man Luzern am Vierwaldstättersee mit Rigi und Pilatus kennt. Vor zwanzig Millionen Jahren dürfte die Luzerner Bucht jedoch genauso ausgesehen haben.
Das Wandgemälde im Gletschergarten in Luzern, das dieses exotische Ambiente abbildet, stützt sich auf die Ergebnisse jahrzehntelanger geologischer Forschungen und rekonstruiert detailgetreu das einstige Landschaftsbild: Es zeigt das Miozän, einen jüngeren Abschnitt der Erdgeschichte. Versteinerte Reste der Fächerpalme, die im Luzerner Sandstein geborgen wurden, eingeschwemmte
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