Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Bögen sich in Barnstaple begegnen. Der Wanderweg auf Tarkas Spur berührt die einsamsten Regionen Devons, als Radweg führt er dreißig Meilen weit von Barnstaple ins Land. Und auch das letzte Stück der Eisenbahn von Exeter folgt Tarka und dem Wasser: Ein Schild warnt vor Verspätungen bei Hochwasser und schwerem Regen auf der Tarka Line.
Nach Barnstaple kam Henry Williamson im Frühjahr 1921 mit einem schnellen Motorrad aus London. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, Zeitungsschreiber in der Fleet Street, mit achtzehn in den Krieg gerufen, mit neunzehn schon verwundet, einer der zornigen jungen Männer der lost generation . Mit der Großstadt und den Menschen war er fertig, im fernen Devon wollte er es noch einmal versuchen: anders. Für einen Shilling Sixpence die Woche mietete er sich ein cottage auf dem Land, in Georgeham, nah der Küste, und lebte hier mit Katz und Hund als Eremit, mit Möwen, Elstern, was sich eben fand, auch einem jungen Otter. Auf einem ihrer gemeinsamen Streifzüge fing das Junge sich in einer Falle für Kaninchen. Drei Zehen hatten ihm die Eisenzähne abgeschlagen. Williamson umschlang den Otter mit dem Mantel, öffnete das Eisen, doch das Tier entwand sich seinem Helfer, riss sich los – und ließ ihm fortan keine Ruhe mehr. Er suchte alle Flüsse ab und alle Seitenbäche, forschte wochenlang im Schlick nach Spuren der versehrten Pfote, aber sah sie niemals wieder. Was er fand, war die Idee zu einem Buch: »Tarka the Otter«. Den Namen hatte er erfunden, glaubte er. Später erst kam er dahinter, dass es in Wirklichkeit ein altes keltisches Wort war und »kleiner Wasserwanderer« bedeutete.
Jahrelang durchstreifte Williamson das Land, bis er die Otter und ihr Leben besser kannte als die Menschen, begleitete die Otterjäger auf der Jagd, studierte ihre Hunde und die Finten der Gejagten, immer in der Sorge, einmal bei der Beute einem Männchen zu begegnen, dem drei Zehen fehlten. Immer wieder schrieb er die Geschichte Tarkas um und gab sie anderen zu lesen, bis er glaubte, dass sie nichts mehr enthielt als die Wahrheit. 1927 kam das Buch heraus, gewidmet William Henry Rogers, einem Otterjäger, seinem wichtigsten Gewährsmann, und wurde schnell berühmt: Williamson erhielt dafür den renommierten Hawthornden-Literaturpreis aus der Hand John Galsworthys, Thomas Hardy lobte das Buch, und T. E. Lawrence zählte seine Winterszenen zum Schönsten, was es überhaupt in seiner Sprache gebe.
Was das Buch erzählt, ist Tarkas reiches Leben von der Geburt bis zum Tod im Kampf mit seinem Erzfeind Deadlock, einem Otterhund. Es verherrlicht die Magie des Werdens und Vergehens gemäß dem Recht des Stärkeren; und wäre es als Modell gemeint, es wäre wohl einigermaßen bedenklich. Es endet dort, wo es beginnt, am River Torridge. Der Kreislauf der Natur bestimmt auch Tarkas Leben, und deshalb machen wir uns hier auf seinen Weg. In Bideford, am Bahnhof East the Water, haben wir uns Fahrräder geliehen, um den Fluss hinaufzufahren. Die Bahnstrecke von Barnstaple nach Meeth ist 1982 aufgegeben worden und als Radweg heute Teil des Tarka Trails, eine komfortable Piste, vierundzwanzig Meilen weit bis Petrockstowe, gestreut, gewalzt und kreuzungsfrei und ohne nennenswerte Steigung durch das Land am Wasser. Ein alter Eisenbahnwaggon dient in Bideford als Teesalon und Auskunftsschalter, der schmucke Bahnhof selbst als Büro von Tarka Project: So heißt die konzertierte Initiative verschiedener Verbände aus Naturschutz und Tourismus, die im Norden Devons, Tarka’s Country eben, erstmals einen »grünen« Tourismus zu entwickeln versucht.
Träge treibt der Torridge neben uns durch sein Gezeitenbett, vorüber an Wiesen und Weidengebüsch; wir kreuzen ihn auf einer schwarzen, schweren Eisenbrücke, probieren einen Tunnel lang die Klingeln aus und überqueren wenig später noch einmal das breite Wasser auf einer leichten Gitterbrücke. Hier sehen wir zur Rechten Canal Bridge aus grauem Stein, den Viadukt von Rolle’s Canal, die alte Frachtverbindung mit der See, die früh dem Bau der Eisenbahn geopfert wurde: Das ist Tarkas Heimat, hier stand am Ufer seine Wiege – im Roman. Und zwischen dem tosenden Wehr, wo die Forellen springen, und den grauen, runden Bögen seiner Brücke ging er auch am Ende unter nach einer Schlacht wie zwischen Sherlock Holmes und seinem Feind, Professor Moriarty: im letzten Satz drei große Blasen aus der Tiefe sind alles, was von Tarka bleibt.
Es geht am Fuß der Höhe von Great
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