Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Hähnen in der Schräge unterm Dach, mit bunten Potpourris auf breiten Fensterbänken und alten Heften Country Living auf dem Nachttisch. Morgens werden wir begrüßt mit Hinweis auf das gute Wetter.
Nur einmal schüttet es vom Himmel hoch: am Morgen, als wir losmarschieren, und am Abend immer noch. Auf schmalen Pfaden folgen wir dem Unterlauf des Hoar Oak Water durch die Böschung. Hier war es irgendwo, wo Tarka seinen Erzfeind Deadlock traf, den Bluthund aus der Meute. Ihr Zweikampf ist ein Höhepunkt des Buches vor dem blutigen Finale. Das Wasser braust und strudelt durch die Steine, als wir Watersmeet erreichen, eine Fischerhütte aus den Jugendjahren Queen Victorias, jetzt ein Shop und Teesalon des National Trust. »Waters meet«: Der Name ist Programm – hier fließt das Hoar Oak Water in den East Lyn River, und gemeinsam mit dem West Lyn River münden sie bei Lynmouth in die See. Das muss man erst einmal gesehen haben, wie hier die Wanderer die dampfenden Tabletts ins Freie holen, unters Dach, wo ihnen aus den Blumenampeln Regen in die Tassen trieft. »Dreadful«, sagen die einen, »not too bad«, die anderen: »It might clear up.« Doch daraus wird an diesem Nachmittag nichts mehr. Und auf der Karte sehen wir, dass ausgerechnet heute unser Anhaltspunkt beim Marsch die letzte Farm vor Countisbury ist und dass sie ausgerechnet desolate genannt wird: trostlos. Wir steigen durch den lichten Eichenwald hinauf bis auf die freie Höhe, wo sich die Schafe an die flechtengrauen Mauern drücken, vorüber am einsamen Sandpiper Inn und vorbei an der Kirche des Evangelisten Johannes und geradewegs zum Klippenrand, wo der Sturm den Regen wie mit Peitschen vor sich hertreibt und wo der Anblick uns den Atem nimmt, trotz einer grauen Wand aus Regen.
Tief im Taleinschnitt am Meer liegt Lynmouth mit seiner Mole und den winzig kleinen Booten. Es muss ein anderer Regen gewesen sein als dieser heute, der hier am 15. August des Jahres 1952 niederging. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden waren auf den Chains neun Inch gefallen, als ein Wolkenbruch das Zeichen gab: Wie eine Sturzflut kam das Wasser aus den Bergen, und der Fluss riss Brücken, Bäume, Straßen, Häuser mit sich. Es war der Tag, als Lynmouth unterging, ein schwarzer Freitagabend. Bis zum Montag starben vierunddreißig Menschen, neununddreißig Häuser waren ganz und hundertdreiundvierzig weitere zum Teil zerstört, neun Straßenbrücken waren weggebrochen, vierzehn schwer beschädigt, und neunzehn Straßen waren nicht mehr zu passieren. Auf alten Zeitungsseiten kann man heute noch im Ort die schwarzen Autos hochgestapelt liegen sehen. Natürlich hat man Lynmouth wiederaufgebaut. Die schöne Sommerfrische der Jahrhundertwende, von 1898 bis 1935 durch eine Schmalspurbahn mit Barnstaple verbunden, war aber nicht wiederherzustellen.
Hier nehmen wir Abschied von Tarka und fahren mit der grünen Klippenseilbahn geradewegs die Wand hinauf nach Lynton. Trocken, warm, mit seinem Buch in Händen, treffen wir ihn aber schon am Abend wieder. Und da schwimmt Tarka gerade unter hochgetürmten Klippen in den Sonnenuntergang: Westwärts und zuletzt nach Hause.
Die Krähen fliegen rückwärts
Jamaica Inn im Bodmin Moor
Die Szene war so schaurig-wild: Sie mochte glatt erfunden sein. Das freilich war sie nur zur Hälfte. Erfunden war vielleicht der kalte, graue Tag voll Regen im November; erfunden auch die Kutsche mit dem Riss im Lederdach; die Gäste und der Kutscher allemal; doch sicher nicht die Szenerie: »Zu beiden Seiten der Straße dehnte das Land sich endlos hin. Keine Bäume, keine Wiesen, keine Weiler noch Häusergruppen, nur Meilen und Meilen öden Sumpf- und Heidelands, dunkel und unerforscht, gleich einer Wüste nach einem unsichtbaren Horizont hinwellend.« – Kein Platz für Menschen, denkt die Reisende, sogar die Kinder müssten hier verkrüppelt zur Welt kommen. Die Kutsche hält, die junge Mary Yellan steht im Dampf der warmen Pferde vor einem einsamen Gebäudeschemen; schon als sie anklopft, ist der Wagen weiter. Dann öffnet sich die Tür: »Willkommen im Gasthaus Jamaica.«
So beginnt »Jamaica Inn«, die schaurig-schöne Räuberpistole der vielgeliebten Dame Daphne Du Maurier von 1936. Ein Ritt durchs Moor an einem düsteren Novembertag im Regen hatte sie als junge Frau zu der Geschichte inspiriert. Es gab auch dieses Haus, das heute hier noch an der Straße steht, ein altes Coaching Inn, auf halbem Wege zwischen Launceston und Bodmin in die Ödnis aus
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