Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Torrington vorüber, dessen Bahnhof eine Kneipe namens Puffin’ Billy ist und an die alte Eisenbahn erinnert. Hier folgen wir der Trasse einer Schmalspurbahn, die uns nun sacht, doch stetig aufwärts bringt. Es geht durch Haselnussgebüsch, an Eschen, Weiden und Birken vorbei weiter bis ins Moorgebiet mit Binsen. 1831 wurde hier die Marland Light Railway angelegt, um die höher gelegenen Tongruben bei Merton zu erreichen. 1925 wurde sie erweitert zur Normalspur, und bis in die achtziger Jahre hinein wurde so der weiße ball clay in groben Würfeln abgefahren, um zu den typischen White Marland Bricks gebrannt zu werden, aus denen hier die Häuser sind.
Bis zu sechshundert Meter in die Tiefe reichen die Tonvorkommen, und die aufgelassenen Gruben sind ein Eldorado für Wasservögel und Otter. Bis hierher konnten ihnen wohl die Hunde, aber nicht die Jäger folgen. Sie sanken allzu leicht im Boden ein. Auch Tarka war hier zu Besuch, hier traf er Marland Jimmy nah der Ziegelei, einen Otter-Veteran mit einem Riss im Ohr, der im alten Schornstein einer halb versunkenen Dampfmaschine wohnte und von dieser Welt weit mehr gesehen hatte als jeder andere. In einem dieser Tümpel fing Tarka einen Frosch, und hier probierte er zum ersten Mal Fasan.
Es gibt auch heute wieder Otter hier, nachdem die scheuen Tiere fast schon ausgerottet waren. Die Begradigung der Flüsse hatte ihren Lebensraum zerstört, die Pestizide hatten sich durch alle Nahrungsketten durchgeschummelt bis in ihr letztes Glied, den Otter, der von der Jagd und meist von Fischen lebt. Krankheiten und harte Winter setzten ihnen zu. Und erst seit 1978 ist die Otterjagd verboten. Inzwischen gibt es wieder einen lebensfähigen Bestand, doch noch immer sind Otter in England die seltensten Säuger, und wenn sich einmal einer blicken lässt, dann steht er prompt am nächsten Morgen in der Zeitung.
In Merton auf der Höhe finden wir die Gastwirtschaft zur besten Mittagszeit verschlossen. Ein alter Mann sitzt nebenan auf einem Küchenstuhl vor seinem cottage , hält mit der einen Hand den Stock und mit der anderen einen großen Spielzeugelefanten, pink, aus Plüsch. »Es lohnt sich nicht mehr«, sagt er uns, als wir ihn fragen. »Montags haben die jetzt immer zu. Vielleicht in Petrockstow?«
So setzen wir jetzt alles, einem ungewissen Drink zuliebe, auf eine Karte, lassen die Räder talwärts sausen, am Sägewerk vorüber, hinab zur Bahnstation, und schieben sie erneut den Hang hinauf, nach Petrockstow zur Kirche mit dem Laurel’s Inn – und sehen schon von Weitem, dass die Mühe sich gelohnt hat. Da sind noch andere mit ihren Rädern, und zwei sogar aus Barnstaple, neun Meilen weiter noch entfernt als Bideford.
Am Abend sitzen wir in Appledore im Royal George am Meer und sehen, wie die Flut den Torridge in das Land drückt, ein intensives Blau im letzten Licht der Sonne. Barry heißt der Wirt, schmal wie ein Jockey und genauso bunt mit der karierten Kappe und der Hose. Er kocht, bedient und schreibt zuletzt am Tisch die Rechnung, stets mit derselben guten, aufgekratzten Laune. In den Winkeln um die Irsha Street am Wasser dreht sich alles um die See und um den Fisch, seit Hunderten von Jahren ist Appledore bekannt durch seine Werften, noch in den siebziger Jahren segelte von hier aus eine Nachbildung der »Mayflower« ins Land der Pilgerväter, und natürlich war vor Zeiten auch die »Royal George« ein Schiff, eines von den vielen, von denen später nichts zu holen war als nur ihr Name. 1782 schlug sie um nach einem Leck, gezogen vom Gewicht der eigenen Kanonen in den offenen Geschützpforten, und wurde zum Sarg für die ganze Besatzung, achthundert Mann.
Zweimal täglich winden sich der Torridge und der Taw durch Marschen und die hellen Sandbänke ins Meer, zweimal wird im Gegenzug die Flussmündung zur Meeresbucht. In Tarkas Buch liegt kalter Nebel über dem salzigen Land, und vom Exmoor kommt ein Wind wie von flüssigem Glas. Es ist Winter, und das Land ist weiß. Vor Appledore ergattern Tarka und seine Freundin Greymuzzle glücklich einen wilden Schwan, nur um ihn sich von einem Dachs dann wieder abjagen zu lassen. Sie hungern, und ihr Junges stirbt im Frost. Jetzt aber leuchten hier die letzten weißen Häuser in der Sonne, während schon das Exmoor unter dunklen Wolken liegt. Seine Küste ist das Ziel für morgen.
Mit der Bahn und mit dem Fahrrad sind wir nah am Fluss im Tal geblieben. Erst beim Wandern kommen wir hinauf, und gleich am ersten Tag so hoch wie
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