Lesereise Zypern
Was zog sie von der Ukraine über das Schwarze Meer durch die Türkei zur Mittelmeerinsel? Die Stundenlöhne sind hier so hoch nicht. Die Sonne empfindet sie sogar als unerträglich. »Nur der September ist wirklich schön«, quittiert sie Fragen nach der besten Reisezeit für Zypern. Wie erträgt sie die restlichen elf Monate?
Olga gehört zum fast unsichtbaren Team der Helferinnen im Hotel, die dessen Funktionen erst ermöglichen. Unbeachtet und ungeachtet versehen sie ihre Pflicht. Sie wischen jeden Morgen dieselben Stellen. Sie bürsten und fegen. Sie räumen auf. Es ist eine Endlosschleife der Staubabwehr. Es ist der tägliche Versuch, die durch den üblichen Gebrauch des Hauses und durch die Nachlässigkeit der Benutzer vorpreschende Verdreckung in Grenzen zu halten. Ihr Tun hat einen Hauch dessen, was man sich vom griechischen Helden Sisyphos als Tagwerk vorstellt – eine Aufgabe, die sich trotz größter Mühen nie erledigen lässt.
Xenia ruft. Das Geschwader sammelt sich auf der Terrasse. Neue Aufgaben warten nicht, sie liegen vor dem Scheuerlappen. Den freundlichen Gruß »Morgen« entbieten die zypriotischen Frauen den gerade vorbeiziehenden Gästen auf Deutsch. Es ist vermutlich das einzige Wort, das sie in der fremden Sprache beherrschen. Die Touristen revanchieren sich brav mit der griechischen Version: kali méra . Fast überrascht von so viel sprachlicher Annäherung erwidern sie ein kali méra . Dann hat wieder Xenia das Wort – unverständlich für alle Fremden.
Vollversammlung der Götter
Der archäologische Park Pafos – Mosaiken frisch wie von gestern
Der Fußboden der Central Bar im Flughafen von Pafos besteht aus Mosaiken, der Fußboden im Haus des Dionysos im archäologischen Park der Stadt auch. Bei aller Ähnlichkeit lebten die jeweiligen Fliesenleger rund zweitausenddreihundert Jahre zeitlich voneinander entfernt. Die schwarzen und weißen Kieselsteine, die das Meeresungeheuer Skylla formen, wurden sogar schon von den Hellenen im vierten Jahrhundert vor Christus nebeneinander gesetzt. Es sind die ältesten Mosaiken der Insel. Sie sind Teil des Fußbodens im Haus des Dionysos. Die meisten anderen Kunstwerke im archäologischen Park haben Römerhände im dritten und vierten Jahrhundert nach Christus zur Verzierung des Fußbodens in den Villen der steinreichen Oberschicht am Hafen gelegt. So wie man sich heute vielleicht Eichenstabparkett oder Carrara-Marmor als Zeichen des Wohlstands einbauen lässt, war es damals eine Art Cartoon aus Steinchen – mit nackten Frauen, wilden Tieren oder den ersten zwei Betrunkenen der Weltgeschichte.
Dass das alles ans Tageslicht kam, ist einem zypriotischen Bauern zu verdanken. Er pflügte seinen Acker etwas tiefer als sonst – das geschah erst 1962 – und stieß auf fünfhundertsechsundfünfzig Quadratmeter der farbigen kleinen Steinchen, die ein wunderbares Bild ergaben. Sie befanden sich in einer zweitausend Quadratmeter großen Villa, die allerdings längst durch Erdbeben zerstört worden war. Doch bei der in den sechziger Jahren einsetzenden Bauwut wären vermutlich heute selbst diese teuren Bodenbilder nicht mehr an ihrer Stelle, wenn nicht ein paar mutige Männer das ganze riesige Areal in bester Lage am Hafen der Stadt eingezäunt und unter Schutz gestellt hätten. Vierzehnhundert Quadratmeter an Mosaiken sind bis heute freigelegt, und jährlich werden es mehr. Es gibt noch auf Jahre Arbeit für die Wissenschaftler. 1965 waren es Warschauer Archäologen, die mit den ersten Grabungen begannen. Diese Ecke Zyperns gehört jetzt jedenfalls zum Weltkulturerbe, so wertvoll können Fußböden sein.
Die beiden erwähnten ersten Promillesünder der Welt sind auf Bild sieben in der Halle des Dionysos zu betrachten – zwei jugendliche Hirten. Der eine hält den Becher in der Hand, der andere ist schon zu Boden gegangen. Sie haben sich am Wein berauscht, der ihnen bis dahin unbekannt war. Es sind die ersten Betrunkenen überhaupt, von denen es Bilder gibt. Die haben sich die Besitzer der Villa als Mosaik legen lassen. Ob zur Warnung oder als Vorbild, das ist ungewiss. Der nächste Gott ist Gott sei Dank in Rufweite. Dionysos sitzt weiter links, trägt Efeu im Haar und hält mit beiden Händen seine Weintrauben. Ihm gegenüber liegt die fast nackte Nymphe Akme und prostet dem Weingott zu. Hinter ihr steht der Athener König Ikarios und hält zwei Ochsen am Zügel. Auf ihrem Karren liegen gefüllte Weinschläuche aus Ziegenbälgen. Ikarios gilt als
Weitere Kostenlose Bücher