Lesereise Zypern
tadellos als Brustschwimmerin unter den Augen einer Skulptur von Poseidon. Klaglos zog sie minutenlang ihre Bahnen stieren Blickes. Die vier Frauen standen wie versteinert da. Sie schüttelten sich und ahmten ein Zittern nach, das die Schwimmerin gar nicht vorgab. Sie war es offenbar gewohnt, wozu die vier Zypriotinnen vermutlich nicht einmal im Sommer Lust verspürten – zu schwimmen. Eine der Frauen zog sich eine imaginäre Mütze über den Kopf. Wie kann man sich nur da im kalten Wasser selbst quälen?
Unten im Schwimmbad nimmt das Unheil derweil seinen Lauf. Ein dritter Mann ist im Anmarsch. Er steuert auf die Duschen zu, die gerade mit einem Film hochtoxisch riechender Reinigungsmittel eingeweicht wurden. Am Boden sind Reste von Nüssen verteilt, die ein Gast hinterlassen haben muss. Hier und da stehen Schrubber und Eimer. Es ist eine Putzbaustelle. Der Gast aber schreckt davor nicht zurück, so viel Feingefühl legt er nicht an den Tag. Der Schwimmwillige betritt tatsächlich den Duschbereich, ungeachtet aller Hemmnisse, und duscht. Daphne lässt einen griechischen Wortschwall los, dessen Kurzform vermutlich im günstigsten Fall nahe am Ausspruch des Altgriechen Archimedes liegt: »Störe meine Kreise nicht!«
Dies ist der Moment für Xenia, Führungsstärke zu zeigen. Sie geht zum Angriff über und rammt symbolisch eine Fahne in den frisch gewischten Fußboden, die weithin sichtbar ein Zeichen der sonst unsichtbaren und verachteten Putzmacht setzt. Ihre Insignie der Reviermarkierung ist ein kniehohes gelbes Klappschild mit der Aufschrift »Caution, wet floor«. Wenn auch die Fliesen schon getrocknet, die Eimer verstaut und die letzten Wischgeräusche verstummt sind, dieses Emblem der Putzkolonne flößt auch dem Unbedarften Respekt ein. Die beiden älteren Kurzschwimmer wollen keinesfalls riskieren, hier auszugleiten. Das Zeichen entfaltet also Wirkung. Die Frühsportler – ohnehin am Ende ihrer Kräfte – lassen ihre Betätigung auslaufen.
Längst haben Daphne und Medea sich dem menschenleeren Fitnessraum zugewandt und ihre langstieligen Werkzeuge beiseite gestellt. Medea besteigt den Walker und läuft auf der Stelle, wie es sonst nur die hier wohnenden Touristen tun. Es ist Neugier gepaart mit Fassungslosigkeit, die hier bei den beiden Zypriotinnen Raum ergreift. Warum soll man sich in so eine Maschine zwängen, die einem wahlweise auch noch die Schritte erschwert, und zehn Minuten auf der Stelle treten, wenn doch in der frischen Luft draußen so viel Platz an der Küste ist? Warum soll man sich nutzlos bewegen, ohne dabei notwendige Arbeit zu verrichten wie zum Beispiel den Boden zu wischen? Entsteht so falscher Schweiß, da der echte doch nur durch ehrliche Tatkraft am Besenstiel den Körper verlässt? Die in philosophische Bahnen abgleitenden Tagträume der beiden werden durch einen Schrei Xenias zerrissen: »Oben die Fenster! Jetzt!«
Das ganze Morgenprogramm in diesem Strandhotel an der Coral Bay folgt einem System. Zeitlich und räumlich wird das Terrain von dreißig fleißigen Händen beackert. Für Freiräume ist keine Muße. Das Putzgeschwader hat sich dem Frühstücksraum genähert. Die Fenster sind das Ziel der Tücher und Lappen. Hinter der Bar steht Olga und schaut dem Treiben zu. Sie kommt aus Odessa in der Ukraine, ist seit drei Jahren auf Zypern, um Geld zu verdienen. Sie trägt Schwarz. Ihr Gesicht, bei dessen Betrachtung sich ihr Alter auf Anfang dreißig schätzen lässt, scheint einen Zeitvertrag mit der Melancholie geschlossen zu haben. Wird sie von Gästen angesprochen, klappt ein Lächeln auf. Für Sekunden durchdringen Sonnenstrahlen ihre Tristesse. Doch schnell glätten sich die Lachfalten wieder. Sie sind gar nicht zu sehen, wenn sie ihren zypriotischen Chef trifft, der gerade eintritt, und das offenbar Notwendige besprechen will. Alles, was sie über die Lippen bringt, sind Brocken in hart klingendem Englisch, denn das ist die einzige gemeinsame Sprache der beiden.
Sie geht hinaus, zieht im Abstand von zwei bis sechs Sekunden an ihrer frisch angezündeten Zigarette, trinkt einen Schluck Cola aus ihrem weißen Plastikbecher. Dann ist die Pause vorbei. Sie weht wie eine Feder durch den Barraum. Sie wischt Tische ab. Sie stellt eine Ordnung her, die vorgegeben zu sein scheint. Ihre Schuhe klackern nicht. Ihr Stühlerücken verursacht nicht die üblichen Geräusche. Ihr Tun wirkt lautlos. Doch so leise sie arbeitet, so sehr trägt ihr Verhalten alle Attribute der Rastlosigkeit.
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