Lesereise Zypern
haben beachtliche vierzig Prozent ihrer Darlehen in Griechenland vergeben. Für fünf Milliarden Euro halten sie zudem griechische Staatsanleihen. Was daraus wird, wissen bestenfalls die Götter. Zypern gerät in den Sog Athens. Das weiß auch Anastasia. Sie muss dann aber doch über den Satz kichern, der den Anleger ködern soll: »Hier lebt man recht sorgenfrei unter stetig blauem Himmel vom Tourismus und der Wirtschaft.«
Es ist nicht mehr als das Blaue vom Himmel, was da steht. Am Tresen, wo das Geld bar ausgezahlt wird, werden die einheimischen Abheber hellhörig. Was die da wohl reden, scheinen sie zu denken. Ein paar Meter weiter tauscht sich ein Bankmitarbeiter mit einer Kundin über die Wochenenderlebnisse aus. Draußen rast ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene vorbei. Doch Alarm ist immer woanders. Hier im Innern, hinter dicken Glaswänden, nach der Sicherheitsschleuse, da ist die Welt offenbar noch in Ordnung. Jedenfalls vermitteln das die Mitarbeiter, von Anastasia bis Alexandros. Sie beten die Vorzüge eines zypriotischen Kontos herunter wie vermutlich vor Jahren schon. Sie predigen von seichtem Wasser und Windstille, während vom nächsten Berg aus der Tsunami schon zu sehen ist.
Für heute jedenfalls hat der Bankbesucher genug. Er sammelt noch ein paar der bunten Heftchen ein. Er möchte die Steueroase zunächst nicht mit seinem sauer verdienten Geld begießen. Da fällt Alexandros noch etwas Lustiges ein. »Wissen Sie, wie sich die Zentralbank in Nordzypern finanziert?« Dann antwortet er gleich selbst. Sie verbucht angeblich mehr als vier Milliarden Euro Überschuss im Jahr – dank der Besteuerung der Casinos. Das Glücksspiel in der Türkei sei verboten, weshalb die durch den Wirtschaftsboom in dem Land zahlungskräftig gewordene Mittelschicht ständig Abstecher nach Nordzypern mache – sozusagen in die Spielhölle Insel-Anatoliens. Dort rollt die Kugel. Reiche Russen werfen hier ebenfalls gern mit Dollarscheinen um sich. Sie kommen neuerdings in Scharen. Und die Zyperngriechen setzen offenbar in den Casinos auch gern alles auf eine Karte.
Nur was daran lustig ist, bleibt Alexandros’ Geheimnis. Wenn der Norden mit Roulette zockt und gewinnt, denn so sind die Regeln des Glücksspiels für den Veranstalter nun einmal, dann hat der Süden sich schon längst verzockt, und zwar mit griechischen Anleihen.
Der Laufkunde möchte nur noch hinaus in die Freiheit. Der erste Knopf ist schnell gefunden; die innere Glastür öffnet sich wie von Geisterhand, aber unter aufdringlichem Surren. Wieder spricht die griechische Frauenstimme. Ist das Anastasia? Ein Blick zurück verrät nur – sie sitzt brav am Schreibtisch und hat ihre Aufmerksamkeit wieder dem Aktenordner gewidmet. Jetzt nur nicht falsch drücken, sonst rast vielleicht ein spitzes Gitter von der Decke und quetscht den mutmaßlichen Bankräuber ein. Nein, alles okay. Die innere Tür schließt. Die äußere schickt sich an, aufzugehen. Luft dringt von außen ein. Sie riecht nach Meer. Da am Ufer, da steht bestimmt irgendwo eine sichere Bank zum Draufsetzen.
Im Lichtkegel der Zeitmaschine
Seit elftausend Jahren möchte jeder Heißsporn die Insel haben
Ach, wäre sie nur beweglich! Ein großer Schlepper würde Zypern dann aus dieser Zwangslage am östlichen Rand des Mittelmeers befreien und sie in ruhigeres Fahrwasser bringen. Die nach Sizilien und Sardinen drittgrößte Mittelmeerinsel liegt im Fadenkreuz so unterschiedlicher Interessen. Hier überschneiden sich die Einflusssphären von der Türkei, Syrien, des Libanons, von Israel und Ägypten. Seit die ersten Steinzeitmenschen vor rund elftausend Jahren ihren Fuß auf die liebliche Insel setzten, hat hier fast jeder Heißsporn, der einen Eintrag ins Geschichtsbuch provozieren wollte, seine Flagge in den Boden gerammt. Von Persern, Griechen, Römern und ägyptischen Ptolemäern über fränkische Könige, Kreuzfahrer bis zu Venezianern, den Osmanen oder den Briten hat so gut wie niemand Zypern links liegen gelassen. Zu schön, zu reich und strategisch zu günstig liegen die neuntausendzweihundertfünfundachtzig Quadratkilometer wie ein Appetithäppchen für Imperialisten auf den Seekarten. Das ist bis heute so.
Für Europa ist Zypern eine der hübschesten Randerscheinungen. Die gern als »göttlich« bezeichnete Insel gehört allerdings gefühlsmäßig eher zur Levante. Dazu zählt das Morgenland, also die Gegend, wo die Sonne aufgeht – aus italienischer Sicht. Die Römer prägten den
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