Lesereise Zypern
und pressen ihre Lippen so eng ans Mikrofon, als wäre es mehr als ein Fetisch. Ein »Schlangenbiss« wird serviert. Das ist Wodka mit Apfelschorle und Erdbeersirup. Das süße Geheimnis wird in seiner Wirkung leicht unterschätzt, so unauffällig verhält sich zunächst der Alkohol darin. Dann kommt Red Bull und Grenadine-Sirup zum Wodka, was unter dem Mäntelchen »Natascha« den Bartresen verlässt. Danach ist »Roter Oktober« dran. Erst der Tabasco im folgenden Drink verrät, wie hart »Das wahre Leben« wirklich ist, denn so heißt dieses Alkoholgemisch auf Wodka-Basis.
Etwas benebelt wird dann getanzt. Die Clubs liegen oft in Strandnähe. So geht dann drinnen und draußen die Post ab. Hier treffen Menschen aus allen möglichen Ländern zusammen. Der Zuspruch zur wummernden Musik scheint nur vom jeweiligen Alter abzuhängen. Johlen, mitsingen und tanzen vereint. Die Nachtaktiven erobern Limassol. Vasilis bittet mittwochs ab einundzwanzig Uhr zum Freisingen, wahlweise auf Griechisch, Englisch oder Russisch. Die Lust, sich ungehemmt als Gesangsstar zu präsentieren, scheint ungebrochen zu sein. Manche Stimmchen mutieren zu kehligen Brunftschreiorganen. Gelegentlich entpuppt sich eine Mimose als Rampensau. Beim »weißen Tanz« fordern schließlich Damen irgendwelche Männer auf, die urplötzlich ein Lächeln überfällt.
Es wuseln küssende Paare durch die abwechselnd in Regenbogenfarben leuchtende Scheinwerferparade. Künstlicher Nebel, der unerwartet aus den Ecken wabert, verhüllt peinliche Knutschszenen. Ein sibirischer Tänzer verbiegt sich so extrem, dass der in Russland typische Tanz Kasatschock als Vorübung bei Weitem nicht ausgereicht haben kann. Dazu stößt er röhrende Laute aus. Sein Handy am Ohr könnte Verbindung zu einer Telefonsexanbieterin haben. Weiter hinten trommeln sich ein Kiewer und eine junge Frau aus Edinburgh durch die Nacht. Vorn links verwechselt ein St. Petersburger ständig seine Knie mit denen einer schwarzhaarigen zypriotischen Schönheit neben sich. Plötzlich sind wieder Irina und Anastasija da, die sich vorhin im anderen Club zusammengesungen haben, und beginnen einen Engtanz.
Wer jetzt nicht schwach wird, wird es niemals mehr. Es ist getanzte Lebensfreude. Den Leibern gehört die Nacht. Engel treffen Teufel. Lackschuh tanzt mit Riemensandale. Schattengestalten, die aus dem Casino herüberkommen, führen ihr Zockertum im Wettbewerb um die heißeste Königin des Abends ruchlos fort. Limassol bietet dem Urschrei des Lebens das passende Mikrofon.
Putzfrauen-Blues in Coral Bay
Aus dem harten Leben der fast unsichtbaren Helferinnen
»Nä, nä, nä«, ätzt der junge Mann mit dem Dreitagebart und dem halb leeren Kaffeebecher an den Lippen. Eine fast doppelt so alte Frau, offenbar seine Chefin, erteilt ihm Aufträge. Die Pflanzen, allesamt aus Plastik, müssen in andere Kübel unten im Hotel getopft werden. Das habe sie ihm schon vergangene Woche gesagt, klärt ihn die Vorsteherin der Putzkolonne auf. Im Griechischen heißt »nä« bekanntlich »ja«. Doch das macht die Kurzantworten des Mannes nicht besser. Sein Ja klingt wie ein Nein.
Für die Herrin über die fünfzehn »Putzteufel« eines hübschen Strandhotels in Coral Bay im Westen der Insel ist es ohnehin ein schwieriger Morgen. Unten am Schwimmbad haben sich schon um halb acht zwei Hotelgäste ins Wasser geworfen. Sicher, sie wollen vor dem Frühstück schwimmen. Das Schild klärt aber eindeutig die Planschstunden: »Pool hours 9.30 until 20.00.« Doch Xenia, so heißt die Anführerin der Sauberfrauen, hat eine Ahnung, wie wichtig der Tourismus für Zypern ist. Sie schreckt gegenüber den beiden schwimmenden Gästen vor einem Wortschwall in einer Lautstärke wie zu dem jungen Jannis zurück. Angesichts des Fünfmeterabstands zu ihm war die Phonzahl eindeutig zu hoch und wäre eher für einen Kasernenhof angemessen gewesen.
Daphne und Medea haben derweil die Plastikpalme abgestaubt. Sie wischen den Fliesenfußboden rund um das Schwimmbad, in dem jetzt hohe Wellen davon zeugen, wie ernst die beiden deutschen Männer es mit ihren zehn Minuten Frühsport meinen. Die beiden Zypriotinnen bewerten den Krauleinsatz hingegen mit abwertenden Blicken. Immerhin sind hier ja Luft und Wasser geheizt. Erst gestern waren Daphne und Medea mit ihren zwei Kolleginnen Augenzeuginnen, wie draußen, ja, tatsächlich draußen im Pool, eine deutsche Frau, die an sich gesund aussah, entschlossen ins kalte Wasser stieg. Sie bewegte sich
Weitere Kostenlose Bücher