Lesereise Zypern
achthundert Jahre gleichen wieder einer Achterbahnfahrt. Auf den Trümmern von Salamis wurde Constantia als neue Hauptstadt gegründet. Sie löste Pafos ab. Großgrundbesitzer, Beamte, Kirchenmänner – sie alle lebten im Luxus und frönten einer fast römischen Dekadenz. Dann schmuggelten zypriotische Seefahrer Eier des Seidenspinners aus China ein. Schon war die Grundlage einer neuen Handelssparte gelegt: Seide. Die Insel produzierte und verkaufte alles, was die Raupen nur so spinnen konnten. Der edle Stoff war heiß begehrt. Vom siebten Jahrhundert an schauten regelmäßig die Araber vorbei und verlangten einen Tribut. Auch an Byzanz mussten Steuern abgeführt werden. Also blutete das Land langsam aus.
Doch nun lassen wir die Zeitmaschine abheben. Sie fliegt und landet im Jahr 1489 im Schiff des reichen Venezianers Giorgio Cornaro. Er segelt gerade im Auftrag des Rates der Zehn von Venedig nach Zypern und soll die bisherige Königin von Zypern, Caterina Cornaro, zum Abdanken bewegen. Sie ist seine Schwester und auch Venezianerin. Der mächtige Rat der Zehn aber befürchtet, dass die Witwe, seit 1474 Chefin von Zypern, ins verfeindete Herrscherhaus Neapel einheiraten könnte. Ihr einjähriger Sohn war unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Giorgio Cornaro bewegte seine Schwester zur Heimreise, setzte einen Verwalter für Zypern ein und sicherte so die Insel zumindest für die nächsten rund achtzig Jahre für Venedig als hübschen Angelpunkt in der Levante für ihre Wirtschafts- und Vormachtträume. Dann allerdings traf ein Blauer Brief ein. Es war im März 1570, als ein türkischer Gesandter die Venezianer aufforderte, die Insel an die Osmanen zu übergeben. Vorher hatten sie vor Famagusta im Osten schon einmal ihre Kriegsflotte gezeigt. Mehr nicht, aber das reichte. Die Venezianer erhöhten ängstlich die Stadtmauern auf Zypern. Bald belagerten fünfzigtausend Mann aus der Türkei Nikosia. Dreihundertsechzig Galeeren aus dem großen osmanischen Reich im Norden brachten ständig neue Soldaten. Lange konnte es nicht gutgehen, und so fiel Zypern 1571 für die nächsten dreihundert Jahre an die Osmanen. Siedler aus dem südlichen Anatolien trafen ein. Schwarzafrikanische Sklaven aus Ägypten taten ihren Dienst auf Zypern. Es herrschte der Islam. Muslime versahen alle wichtigen Ämter in Regierung und Verwaltung. Syrische Araber, die nun auch hier lebten, brachten die Kartoffel mit. Sie gedieh prächtig und vergrößerte den Wohlstand.
Offenbar lebten Christen und Moslems in Eintracht miteinander. Mischehen waren erlaubt. Viele traten auch zum Islam über. In zerfallenen Kirchen wurden Minarette gebaut. Doch dann prasselten Ereignisse auf Zypern ein, die den Niedergang besiegelten: Heuschreckenplagen, Erdbeben, die Pest und Dürren. Als dann einmal wieder die Haudegen des russischen Zaren vor Konstantinopel auftauchten – es war 1877 –, da riefen die Osmanen die Briten zu Hilfe. Sie brauchten nur mit einem Feldzug zusammen mit den Österreichern zu drohen, schon war die Sache zugunsten der Osmanen erledigt. Allerdings ließen sich die Briten dafür bezahlen – in Form einer Insel: Zypern. Ein Jahr später übernahmen sie die Verwaltung und hatten endlich das ersehnte Eiland zurück, das sie mit König Löwenherz schon einmal zwei Monate gehabt hatten, dann aber vorschnell versilberten.
Die Türken verlangten zwar noch eine Pacht, doch das war den Briten egal. Sie hatten einen wichtigen Stützpunkt, um von hier aus Ägypten zu erobern. Schon bald war das Empire Schutzmacht über den Suezkanal, sodass Zypern wieder etwas aus dem strategischen Denken der Admiräle verschwand. Doch ein High Commissioner , ein Hochkommissar, wurde ernannt. So einen gibt es bis heute. Er entschied die Geschicke des kleinen Landes, das 1914 von Großbritannien annektiert worden war und ab 1925 britische Kronkolonie war. Zwar setzten die Briten neun griechische und drei türkische Zyprioten mitsamt sechs britischen Vertretern in einen Exekutivrat. Doch der Hochkommissar gab stets den Ausschlag bei wichtigen Entscheidungen. In diese Zeit fällt die Idee der énosis , die auch heute im Gespräch mit Zyprioten öfter auftaucht: die Vereinigung Zyperns mit Griechenland, was sich offenbar der Klerus und viele der griechisch-zypriotischen Bewohner sehnsüchtig wünschten.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stand bei den griechischen Zyprioten immer wieder im Zeichen der énosis . Am Zweiten Weltkrieg nahmen sogar
Weitere Kostenlose Bücher