Lesereise Zypern
Begriff. Das östliche Mittelmeer mit den Anrainern von Syrien bis Palästina liegt dort. Zypern ist deshalb eine Art von Schnittmenge großer Kulturkreise aus Orient, Afrika und Europa.
Wie spontan manche Eroberung daherkam, lässt sich vorbildlich an Richard Löwenherz nachvollziehen. Er war nicht einmal zwei Jahre im Amt des Königs von England, als er 1191 auf einem Kreuzzug gegen den Sultan Saladin ins Heilige Land segelte. Er wollte Jerusalem von ihm zurückerobern. Gerade fuhr er mit seinem Tross südlich von Zypern durchs Mittelmeer, als er erfuhr, dass Prinzessin Berengaria von Navarra an der Südküste der Insel mit ihrem Schiff festhing. Sie war mit seiner Schwester vorausgefahren; eine Ehe wurde gerade eingefädelt. Dabei hatte seine Mutter ihre Finger im Spiel. Berengaria, die junge schwarzhaarige Frau mit den dunklen, verträumten Augen war also seine Auserwählte, die er – auch zur Absicherung seiner französischen Besitzungen – demnächst heiraten sollte. Nun war sie in die Hände des zypriotischen Kaisers Isaak Komnenos gefallen, eines Freundes des Sultans.
Richard kam, sah und heiratete. Dazu eroberte er die nächstliegende Hafenstadt. Das war Limassol. Im weißen Kleid mit weißem Schleier und einem Umhang aus Brokat schritt Prinzessin Berengaria mit ihrem wilden Eroberer Richard zum Altar in der St.-Georgs-Kirche der Stadt. Der Bischof krönte sie anschließend gleich zur Königin von England. Nach den Feiern ging ihr Mann wieder seinem Beruf nach – als Eroberer. Er ließ sein Heer antreten, um die ganze Insel zu übernehmen. Rund sechs Wochen waren dafür vorgesehen. Kaiser Isaak machte es spannend und trieb es gewissermaßen auf die Spitze. Erst am Kap Andreas im äußersten Nordosten ergab er sich. Unterwegs hatte Löwenherz in Kyrenia schon die Staatskasse entdeckt und auf seine Schiffe bringen lassen. Er machte also schon jetzt Kasse mit Zypern. Der König von Zypern verschwand in irgendeinem Kerker. Isaaks minderjährige Tochter nahm das junge englische Paar gleich mit aufs Schiff. In Wirklichkeit war es Kindesentführung. Richard segelte und kämpfte fast sein Leben lang weiter. Seine Frau war derweil meist mit Richards Schwester unterwegs. Berengaria gilt als die einzige englische Königin, die niemals einen Fuß in ihr Land setzte.
Doch Zypern hatte wieder einmal im Vorbeifahren die Nationalität gewechselt, dieses Mal war es Englisch geworden. Aber was sollte einer der mächtigsten Männer Europas mit ständigem Expansionsdrang damit? Nach zwei Monaten versilberte er die Insel für hunderttausend Golddinare an die Kreuzritter des Templerordens. Sie fungierten auch nur als Zwischenhändler, denn schon bald kaufte der ehemalige fränkische König Jerusalems, Guy de Lusignan, Zypern und wurde dort König. Das machte sich bezahlt: Drei Jahrhunderte herrschten die fränkischen Könige dort, bis dann die Venezianer kamen. Siebenhundert Jahre sollte es dauern, bis 1878 die Engländer wieder die Insel in ihren Besitz nahmen, nun von den Osmanen.
Bevor es damit weitergeht, setzen wir uns in eine Zeitmaschine und spulen die Kalender rückwärts. Wir wollen zurück zu den Anfängen. Dazu muss nur die Zeitanzeige durchlaufen, der Ort bleibt gleich. Die Gegend um Limassol, wo die junge Prinzessin strandete, hat es nämlich in sich. Auf der Halbinsel Akrotiri, wo heute die Flamingos durch den Salzsee waten, jagten die ersten Siedler Zyperns Zwergflusspferde und Zwergelefanten. Unglaubliche elftausend Jahre soll das her sein – es waren Steinzeitmenschen, die an dieser Küste lebten. Das haben Archäologen anhand von Essensresten herausgefunden, die dort herumlagen. Sicher waren es Knochen, denn jede Papyrus-Schachtel eines damaligen Pizza-Bringdiensts wäre längst verrottet. Nur rund fünfzig Kilometer entfernt in Choirokoitía sind Rundhütten wieder aufgebaut, damit auch Menschen ohne Zeitmaschine eine Vorstellung gewinnen, wie es damals hier zuging. Die Behausungen haben etwa zehn Meter Durchmesser und drei Meter dicke Steinmauern. Genau dort lebten rund tausend Dorfbewohner bis etwa 6000 vor Christus. Sie hielten sich Schafe, Ziegen und Schweine. Sie bauten Linsen, Gerste und Weizen an. Sie hatten Feuerstein, den sie zum Anzünden von Holzfeuern benutzten. Auch als Pfeilspitze zum Jagen in den Wäldern des Troodos-Gebirges taugte der harte Stein.
Es kamen offenbar ständig neue Siedler hinzu, die sich an der Südküste breitmachten. Ihre Kultur war relativ weit entwickelt. Was aber
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