Letale Dosis
als Durants Stimme ihn zurückhielt.
»Das glaube ich nicht, Dr. Fink. Oder wollen Sie Ihrer Frau den Abschiedsbrief Ihres Sohnes vorenthalten? Schließlich ist ein Teil davon auch an sie gerichtet.«
»Na und? Ich werde ihr den Brief zeigen, sobald sie sich beruhigt hat.«
»Und ich bestehe darauf, mit Ihnen beiden zu reden«, erwiderte die Kommissarin kühl.
Finks Augen verengten sich zu Schlitzen, sein Gesicht wurde hochrot vor Zorn, seine Kiefer mahlten aufeinander.
»Bitte, wenn es unbedingt sein muß. Folgen Sie mir.«
Sie betraten das Wohnzimmer, in dem Gabriele Fink wie ein Häufchen Elend auf dem schwarzen Ledersofa saß, die Hände um ein Taschentuch gekrampft, das Gesicht verheult, der Blick leer.
Fink setzte sich neben sie, deutete auf die Sessel, die etwa drei Meter von der Couch entfernt standen. Durant und Hellmer nahmen Platz.
»Gabriele«, sagte Fink, »die beiden Polizisten sind gekommen, um sich mit uns zu unterhalten. Meinst du, du kannst das verkraften?«
Sie nickte ergeben, wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen vom Gesicht.
»Erst einmal unser herzliches Beileid zum Tod Ihres Sohnes«, sagte Durant.
»Sparen Sie sich bitte Ihre verlogenen Mitleidsbekundungen«, sagte Fink unwirsch. »Haben Sie schon einen Anhaltspunkt, weshalb Jürgen sich das Leben genommen hat? Oder war es vielleicht sogar Mord? Zur Zeit findet doch in unserer Kirche ein regelrechtes Gemetzel statt.«
»Nun, ich denke«, sagte Durant, »wir sollten es nicht Gemetzel nennen, und Ihr Sohn war doch schon seit Jahren weg von der Kirche. Außerdem haben wir diesen Abschiedsbrief, den er eigenhändig geschrieben und auch unterzeichnet hat …«
»Und was, wenn man ihm diesen Brief diktiert hat? Man kennt das doch, daß Killer bisweilen auf die perverse Idee kommen, jemanden einen Abschiedsbrief schreiben zu lassen, nur damit ein Mord wie Selbstmord aussieht. Gibt es denn konkrete Hinweise darauf, daß er
nicht
ermordet wurde?«
»Ich bin zwar keine ausgebildete Graphologin, aber ich habe mich damit befaßt. Vor allem der Wortlaut läßt darauf schließen,daß es Selbstmord war. Im Schriftbild finden sich keine Anzeichen für Nervosität oder Angst, es handelt sich um eine klare, deutliche Schrift. Doch wenn Sie darauf bestehen, werden wir den Brief von einem unabhängigen Gutachter analysieren lassen, was allerdings auf Ihre Kosten geschähe.«
Fink verdrehte die Augen. »Und was ist jetzt? Kann ich endlich den Brief sehen?«
»Wir haben Ihnen eine Kopie gemacht«, sagte Durant, stand auf und reichte den Brief über den Tisch.
»Eine Kopie? Ich denke doch, daß uns das Original zusteht.«
»Nein, das tut es nicht, denn der Umschlag und auch die Anrede sind an mich gerichtet. Die Kopie dürfen Sie übrigens für Ihre Unterlagen behalten.«
Fink begann zu lesen, keine Regung zeigte sich in seinem Gesicht. Seine Frau warf einen Blick zur Seite, um mitlesen zu können, doch Fink hielt das Blatt von ihr weg.
Durant griff in ihre Tasche, sagte freundlich lächelnd: »Hier, Frau Fink, ich habe noch eine Kopie, die eigentlich für Ihre Tochter bestimmt ist.«
Sie las, ihre Hände zitterten, ihre Mundwinkel bebten. Fink knüllte den Brief zusammen und warf ihn auf den Boden.
»Was soll dieser Schwachsinn?!« fragte er aufgebracht. »Ich sage Ihnen doch, er war ein Spinner!«
»Mag sein, daß er ein Spinner war. Aber würden Sie uns verraten, was Sie am Freitagabend bei ihm gemacht haben? Oder besser, was haben Sie mit ihm gemacht? Er spricht von unmißverständlichen Drohungen Ihrerseits.«
»Ich habe ihm nicht gedroht, doch er hat alles als Drohung oder Bedrohung aufgefaßt, was mit mir zusammenhing. Seit er soff und Drogen nahm, war er nicht mehr zurechnungsfähig. Und was ich bei ihm am Freitag gemacht habe, das, werte Frau Kommissarin, geht Sie überhaupt nichts an! Das ist eine Sache zwischen meinem Sohn und mir. Nur so viel, ich habe lediglich versucht,ihm ins Gewissen zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen. Er sollte endlich erkennen, worin die wahren Werte in diesem Leben bestehen. Aber er wollte mich nicht verstehen, er war so stur und dickköpfig und feige dazu, so feige, daß er sich diesem Leben nicht stellte, sondern sich klammheimlich davongestohlen hat.«
»Und Sie haben sich wirklich nichts vorzuwerfen?« fragte Durant weiter.
»Nein, das habe ich nicht. Fragen Sie doch meine Frau oder meine noch lebenden Kinder.«
»Frau Fink?«
Sie blickte auf, unendliche Leere in ihrem Blick,
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