Letale Dosis
schüttelte den Kopf.
»Heißt das, Sie stimmen Ihrem Mann zu?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Ach ja«, sagte Fink, »das mit dem Pflichtteil, ich denke, ich werde Jürgen diesen letzten Wunsch erfüllen. Zwar wird das Erbe erst nach meinem Tod aufgeteilt, doch ich will in diesem Fall meine Generosität zeigen und dieser Organisation schon jetzt das Geld zukommen lassen.«
»Warum, glauben Sie, hat Jürgen sein Erbe gerade einer Organisation gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern vermacht?«
»Woher soll ich das wissen?« fragte Fink mit selbstherrlichem Grinsen. »Da ist wohl seine soziale Ader durchgebrochen. Er hatte immer etwas für Randgruppen übrig, egal für welche.«
»Gut, belassen wir’s dabei. Aber um noch einmal auf die Zurechnungsfähigkeit Ihres Sohnes zurückzukommen – beim Verfassen des Briefes war er zurechnungsfähig. Ich habe nämlich noch heute morgen veranlaßt, daß Ihrem Sohn eine Blutprobe entnommen wurde, um zu klären, ob er vor seinem Tod Alkohol oder Drogen zu sich genommen hat. Das Ergebnis liegt uns seit etwa einer Stunde vor. Der Alkoholgehalt seines Blutes lag bei 0,1 Promille, Hinweise auf Drogen- oder Tablettenmißbrauch wurdennicht festgestellt. Er hatte offensichtlich mindestens vierundzwanzig Stunden vor seinem Tod keine Alkohol getrunken. Soviel dazu.«
»Was soll’s, er ist tot, und nichts und niemand wird ihn wieder zurückbringen«, sagte Fink, dessen Frau wie eine Mumie, deren Herz noch schlug, auf der Couch saß und ihren Blick zu Boden gerichtet hatte. Durant und Hellmer spürten, daß sie am liebsten etwas gesagt hätte, etwas, das dem widersprach, was ihr Mann sagte, doch sie war eine verängstigte, eingeschüchterte Frau, die offensichtlich keinen Mut und auch keine Kraft mehr hatte, sich ihm entgegenzustellen. Er war der unumschränkte Herrscher des Hauses, und sie akzeptierte dies ohne Murren. »Gibt es sonst noch etwas?« fragte er.
»Eine Frage noch – hat es seit Freitag noch einmal eine Drohung gegen Sie gegeben?«
»Nein, sonst hätte ich Sie das bestimmt wissen lassen.«
»In Ordnung, dann werden wir uns wieder auf den Weg machen.« Durant und Hellmer erhoben sich, begaben sich zur Tür. »Ach ja, wir stehen Ihnen im übrigen jederzeit zur Verfügung, sollten Sie uns etwas zu sagen haben.«
»Ich verstehe zwar nicht, was Sie meinen, doch meine Frau und ich bedanken uns für dieses Angebot. Warten Sie, ich bringe Sie zur Tür.«
»Machen Sie sich keine Mühe, wir wissen, wo der Ausgang ist«, sagte Durant und verließ mit Hellmer das Haus. Der Regen, vom Wind gepeitscht, prasselte nach wie vor in Strömen aus den tiefhängenden dicken, fast schwarzen Wolken.
Im Auto sagte Julia Durant: »Und, wie ist dein Eindruck jetzt?«
Hellmer zündete sich eine Marlboro an, inhalierte, ließ sich mit der Antwort Zeit. Er sagte, während Durant den Motor startete: »Ich bin selten einem solchen Scheißkerl begegnet. Wenn der ein Heiliger ist, dann bin ich Gott höchstpersönlich. Gibt es eigentlich noch eine Steigerung von Arroganz?«
Julia Durant grinste Hellmer an. »Nein, ich kenne keine. Aber dieser Kerl ist mit allen Wassern gewaschen. Ich wette, der hat seine Familie so fest im Griff, daß keiner auch nur die geringsten Anstalten machen würde, aufzumucken. Sie haben einfach Angst vor ihm. In der Kirche aber ist er ein Heiliger. Einer, der mit Macht predigen kann. Und in seinem Beruf ist er vermutlich ein Chef par excellence. Und er hat Geld, verdammt viel Geld. Und das ist letztendlich das, was zählt. Einfluß und Geld. Fink ist einfach ein widerlicher Scheißtyp.«
»Ich habe seit meiner Heirat auch viel Geld.«
»Das ist was anderes. Nicht alle, die reich sind, sind auch Arschlöcher. Aber einige. Und Fink gehört dazu. Aber ich will jetzt einfach nicht länger über ihn nachdenken. Ich fahr dich nach Hause und werde dann einen geruhsamen Abend vor der Glotze verbringen.«
Sonntag, 18.15 Uhr
Julia Durant hatte sich einen Jogginganzug angezogen, die Beine hochgelegt, eine Tüte Chips neben sich auf dem Sofa, eine Dose Bier auf dem Tisch. Im Fernsehen lief eine Naturreportage. Sie rauchte eine Zigarette, nahm sich vor, gegen acht bei Petrol anzurufen und ihm zu sagen, daß sie sich heute nicht mehr sehen würden. Um Viertel nach acht kam noch ein Film mit Nicholas Cage, der seit
Leaving Las Vegas
zu ihren Lieblingsschauspielern gehörte. Danach wollte sie zu Bett gehen und vielleicht einmal acht Stunden am Stück schlafen, in der Hoffnung,
Weitere Kostenlose Bücher