Letale Dosis
ausschließen können, so liegt die Wahrscheinlichkeit dafür bei weniger als einem Prozent. Wir sind alle überzeugt, daß er umgebracht wurde. Und heute haben wir den ganzen Tag damit zugebracht, alle möglichen Leute zu verhören, einschließlich der Belegschaft seines Unternehmens.« Sie nahm einen weiteren Zug an ihrer Zigarette, fuhr fort: »Es ist schon seltsam, mit was für Fällen man bei der Mordkommission so konfrontiert wird. Im Fernsehen zeigen sie fast immer nur, wie jemand erschossen oder erstochen wird, aber die Wirklichkeit sieht oft ganz anders aus. Tja, was soll’s.«
»Wie ist er denn gestorben?«
»Gestorben?« fragte Julia Durant und lachte auf. »Der ist nicht gestorben, der ist im wahrsten Sinn des Wortes krepiert. Eigentlich wollte er sich Insulin spritzen, aber irgend jemand hat ihm eine sehr hohe Dosis Schlangengift, genaugenommen zwei verschiedene Sorten Schlangengift, unter das Insulin gemischt. Der Mann ist innerlich und äußerlich verblutet. Und das Komische daran ist, daß eines dieser Gifte in Deutschland laut Auskunft unseres Rechtsmediziners überhaupt nicht zu haben sein dürfte, weil diese Schlange zu den geschützten Tierarten zählt und nicht aus Australien ausgeführt werden darf. Und irgend jemand war auch noch so schlau, die wirksamsten Teile des Giftes zu extrahieren.Wir stehen vor einem Rätsel, wie du dir unschwer vorstellen kannst.«
»Das ist allerdings das erste Mal, daß ich von einem solchen Mordfall höre. Und ihr habt noch keine Spur?«
»Nein, wir haben alle befragt, die wir heute geschafft haben, jetzt müssen wir noch Geschäftspartner und eventuell Mitglieder aus seiner Kirche befragen …«
»Was für eine Kirche?« fragte Durants Vater neugierig.
»Hab ich das noch gar nicht erzählt? Der Tote gehörte der
Kirche des Elohim
an, was dir sicherlich ein Begriff ist. Mit drei Leuten aus dieser Kirche haben wir heute morgen bereits gesprochen, wobei sie uns den Ermordeten als eine Art Heiligen darstellten. Seine Mitarbeiter waren allerdings ganz anderer Meinung. Wir wissen noch nicht, was wir davon halten sollen. Erzähl du mir doch mal was von dieser Kirche, damit ich beim nächsten Mal nicht unvorbereitet bin.«
»Viel weiß ich nicht, außer daß es sich um eine fast auf der ganzen Welt verbreitete Kirche handelt, die sehr stark missionarisch tätig ist, ähnlich wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen. Ansonsten hört man wenig über diese Kirche, obgleich sie in den etwa zweihundertfünfzig Jahren seit ihrem Bestehen einen beachtlichen Zulauf erfahren hat. Soweit mir bekannt ist, sind Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einige Deutsche unter der Führung eines gewissen Schmidt oder Schmied nach Amerika ausgewandert, weil sie dort das Gelobte Land vermuteten, vor allem aber, weil sie ihre Ruhe haben wollten, denn hier wurden sie vor allem von den Protestanten heftig unter Druck gesetzt, von denen sie sich abgespalten hatten. In Amerika begann dann ihre Blüte, sie wurden immer größer und mächtiger, mußten aber auch dort in der Anfangszeit zahlreiche Verfolgungen erdulden. Ein großes Problem war die Polygamie, die aber seit weit über hundert Jahren auch von der Kirche her nicht mehr erlaubt ist. Aber viel mehr kann ich dir leider nicht sagen.«
»Schade, ich hatte gehofft, du wüßtest mehr über sie.«
»Ich habe mich nie viel mit Sekten beschäftigt. Wozu auch, ich hatte genug in meiner eigenen Gemeinde zu tun. Ich hoffe, es dauert nicht zu lange, bis ihr den Mörder schnappt.«
Julia Durant wollte gerade noch etwas fragen, als es an der Tür klingelte. Sie sagte: »Du, ich muß Schluß machen, es hat geklingelt. Ich ruf dich an. Und paß gut auf dich auf. Bis bald.«
Sie legte den Hörer auf und ging zur Tür. Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage, fragte, wer da sei. Es war Werner Petrol. Sie öffnete die Tür. Nur wenige Sekunden später stand Petrol vor ihr. Er hatte wieder dieses jungenhafte Grinsen, trug eine helle Sommerhose und ein grünes Lacoste-Hemd. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite, sah Julia Durant tief in die Augen, trat noch einen Schritt näher und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen.
»Hallo, mein Schatz«, sagte er mit sonorer Stimme und betrat die Wohnung. »Wie war dein Tag? Anstrengend, wie ich vermute.«
»Wie kommst du darauf?« erwiderte sie und zündete sich eine Zigarette an. Sie setzte sich aufs Sofa, die Beine hochgelegt.
»Nur so, du siehst etwas müde aus. Oder macht dir die Hitze zu
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