Letale Dosis
Durant bestellte ein kleines Bier, Sabine Reich Orangensaft. Als der Kellner mit den Getränken kam, bestellten sie beide die so angepriesenen Spaghetti Bolognese und je einen italienischen Salat mit Mozzarella.
Während sie auf das Essen warteten, sagte Sabine Reich: »Wasgibt es denn so Wichtiges, weswegen Sie sich mit mir treffen müssen?«
»Auch wenn Sie mir vielleicht nur ungern Auskunft geben, ich hätte einige Fragen zu Frau Rosenzweig.«
»Was für Fragen? Wenn es um die Therapie geht, dann sind mir aufgrund meiner Schweigepflicht die Hände gebunden, das wissen Sie.«
»Es gibt aber auch Ausnahmen. Eine ist zum Beispiel, wenn durch eine Aussage eine Person von einem Mordverdacht entlastet wird.«
Sabine Reich machte ein ernstes Gesicht, beugte sich ein wenig nach vorn, sagte: »Augenblick, soll das etwa heißen, daß Sie Frau Rosenzweig für eine kaltblütige Mörderin halten?«
»Im Augenblick soll das gar nichts heißen, es könnte aber sein, daß dieser Verdacht sich erhärtet. Vor allem mein Vorgesetzter sieht gewisse Zusammenhänge, die gegen Frau Rosenzweig sprechen. Sie könnten mir jedoch helfen, ein klareres Bild von ihr zu bekommen, indem Sie mir einfach ein paar Fragen beantworten. Ich denke, es ist auch in Ihrem Sinn, Ihre Patientin von jeglichem Verdacht zu befreien.«
»Natürlich. Aber Details aus meinen Sitzungen …«
»Ich will keine Details aus Ihren Sitzungen mit Frau Rosenzweig. Ich will nur ihr Leben und ihre Situation ein wenig besser kennenlernen. Und vor allem möchte ich sie nicht mit etwas konfrontieren, wovon sie eventuell nichts weiß. Das ist alles. Und wie Sie wissen, unterliege auch ich einer Schweigepflicht. Ich habe jedenfalls meinem Boß gesagt, daß ich Frau Rosenzweig keinen Mord zutraue. Ich habe meine Gründe dafür.«
Sabine Reich lächelte auf einmal, fragte: »Was für Gründe? Weibliche Intuition?«
Julia Durant lächelte jetzt ebenfalls. »Das gleiche hat mich mein Boß vorhin auch schon gefragt. Kann sein.«
»Es ist auf jeden Fall interessant zu erfahren, daß auch die Polizeinicht nur mit Kopf und Technik, sondern ab und zu auch mit dem Bauch arbeitet. Sind Sie eigentlich schon lange bei der Mordkommission?«
»Seit vier Jahren. Vorher war ich bei der Sitte. Und davor in München. Mein Vater lebt in einem kleinen Ort in der Nähe von München. Er ist Priester im Ruhestand …«
»Sie kommen aus einer Pfarrersfamilie? Dann haben Sie in Ihrem Leben sicher schon viel über Gott gehört, oder?«
»Zwangsläufig.«
»Und was sagt Ihr Vater dazu, daß seine Tochter einen derart gefährlichen Beruf gewählt hat?«
»Anfangs war er nicht besonders glücklich darüber, er hätte mich wohl lieber als Krankenschwester oder irgendwo im Büro gesehen, aber inzwischen hat er sich damit abgefunden. Wir haben einen sehr guten Kontakt, vor allem seit meine Mutter gestorben ist. Und außerdem ist der Beruf gar nicht so gefährlich, wie man die Leute glauben machen möchte. In den jetzt fast zehn Jahren bei der Kripo habe ich nur zweimal die Waffe gezogen, ohne jedoch schießen zu müssen. In der Öffentlichkeit wird das Bild eines Kriminalbeamten meist stark verfälscht. Es wird immer so hingestellt, als bestünde unser Alltag aus nichts als Prügeleien, Schießereien und wilden Verfolgungsjagden, was absoluter Blödsinn ist. Und die meisten denken natürlich, Leichen würden unseren Weg pflastern, woran das Fernsehen nicht ganz unschuldig ist. In Wirklichkeit besteht der Polizeialltag aus eher langweiliger und langwieriger Ermittlungsarbeit, Akten durchwühlen, alte Fälle bearbeiten, na ja, was eben in einem Polizeibüro so anfällt.«
Der Kellner kam mit dem Salat, stellte die beiden Teller auf den Tisch, Sabine Reich und Julia Durant begannen zu essen.
»Also«, fragte Sabine Reich kauend, »was wollen Sie von mir wissen?«
»Zuallererst, was für ein Mensch ist Frau Rosenzweig?«
Sabine Reich wartete mit der Antwort, bis sie den Mund leer hatte, überlegte, sagte dann: »Sie ist eine eher stille, introvertierte Frau. Es ist schwer, irgendwelche Gefühlsregungen bei ihr auszumachen, und ich habe zehn Sitzungen gebraucht, bis sie überhaupt etwas zugänglicher wurde. Sie wirkt auf mich, als hätte sie eine riesige Mauer um sich gebaut, ohne Fenster und ohne Türen, hinter der sie ihr ganz eigenes Leben lebt. Ich kenne die Ursache dafür nicht, aber ich denke, ich werde sie noch herausfinden. Das einzige, was ich sicher weiß, ist, daß sie seit einigen
Weitere Kostenlose Bücher