Letale Dosis
mit ihm. Hätte er die Rosenzweigs nicht gehabt, würde er heute wahrscheinlich nicht mehr leben.«
»Woher kennen Sie diese Geschichte?« fragte Julia Durant zweifelnd.
»Nun, dieser Mann ist heute ein Mitglied unserer Kirche, er hat wieder einen guten Job in einer Anwaltskanzlei, und vor allem hat er seinen Lebensmut wiedergefunden. Er selbst hat diese Geschichte einmal in der Gemeinde erzählt. Und genau deswegen würde ich meine Hand für Frau Rosenzweig ins Feuer legen, daß sie mit dem Mord an ihrem Mann nichts zu tun hat. Jemand, der soviel Nächstenliebe hat, bringt nicht den eigenen Mann um. Sie wäre vielleicht fähig, Hand an jemanden zu legen, der ihren Kindern etwas angetan hat, doch … nein, jeder, nur sie nicht.«
»Und was hat Dr. Rosenzweig von der Hilfsbereitschaft seiner Frau gehalten?«
»Keine Ahnung, aber ich denke, es hat ihm nicht viel ausgemacht. Er war im Prinzip auch hilfsbereit, wenn auch auf eine andere Art; er hätte dem Mann wahrscheinlich auch etwas zu essengegeben, ihm dann noch einen Hunderter in die Tasche gesteckt und sich nicht weiter drum gekümmert, was aus ihm geworden wäre.«
Julia Durant wandte sich wieder ihrem Essen zu, ließ eine Weile verstreichen, bevor sie sagte: »Wir sind uns doch einig, daß alles, was wir hier besprechen, absolut vertraulich ist, oder?«
»Das sagte ich vorhin schon. Und so, wie ich mich auf Sie verlasse, so können Sie auch mir vertrauen. Kein Wort nach außen.«
»Okay, dann möchte ich Ihnen eine sehr wichtige Frage stellen. Hat Frau Rosenzweig Ihnen gegenüber jemals etwas von außerehelichen Beziehungen ihres Mannes erwähnt?«
»Bitte?« fragte Sabine Reich mit ungläubigem Blick und ließ die Gabel sinken. »Rosenzweig und außereheliche Beziehungen? Sind Sie da sicher?«
»Sie hat also nie gesagt, ihr Mann würde sie betrügen?«
»Nein, und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Ist das ein Gerücht oder Fakt?«
»Es ist Fakt. Ich habe mit zwei Frauen gesprochen, mit denen Rosenzweig über mehrere Jahre hinweg intensiven sexuellen Kontakt hatte. Und jetzt verstehen Sie vielleicht, weshalb ich mit Ihnen sprechen wollte. Wenn Frau Rosenzweig nämlich von seinen Affären gewußt hat, dann könnten wir hier ein Motiv haben. Die Frage ist nämlich, wie lange läßt sich eine Frau demütigen? Und ich weiß aus Erfahrung, es gibt kaum eine schlimmere Demütigung, als wenn der eigene Mann permanent fremdgeht. Das wäre nicht das erste Mal der Grund für Mord unter Eheleuten.«
»Nein«, sagte Sabine Reich entschieden, »sie wußte es nicht. Und selbst wenn sie es gewußt hätte, auch dann wäre sie nicht zu einer solchen Tat fähig gewesen. Sie ist nicht der Typ dafür, und das sage ich Ihnen als ihre Therapeutin. Sie hätte es stillschweigend hingenommen und auf den Tag gewartet, an dem er alt genuggewesen wäre, sich nicht mehr nach andern Frauen umschauen zu müssen. Und ich bitte Sie, der Tod ihres Mannes ist schon Belastung genug, erzählen Sie ihr nicht auch noch von seinen Eskapaden. Ich glaube, das würde sie nicht mehr verkraften, sie würde zerbrechen. Vertrauen Sie weniger Ihrem Kopf als Ihrem Bauch.« Sie schob den noch halbvollen Teller zur Seite, trank einen Schluck von ihrem Orangensaft. »Ich bin wirklich sehr überrascht, das von Rosenzweig zu hören. Sonntags gab er sich immer ganz anders. Aber auch die Mitglieder dieser Kirche erliegen, wie Sie sehen, dann und wann der Versuchung des Fleisches. Aber deswegen würde ich Rosenzweig nie verurteilen. Ich weiß nämlich, daß seine Frau sexuell eher zurückhaltend ist, wie sie mir selbst gesagt hat. Aber sie hat ihren Mann geliebt, das spürte man immer wieder. Es war einfach die Art, wie sie von ihm sprach, immer voller Hochachtung und Respekt. Sie hätte ihm nicht weh tun können.«
Julia Durant schob die letzte Gabel in den Mund, trank den Rest von ihrem Bier, steckte sich eine Zigarette an.
»Ich danke Ihnen, Frau Reich, Sie haben mir sehr geholfen. Ich denke, ich werde meinen Chef überzeugen können, nichts gegen Frau Rosenzweig zu unternehmen. Es sei denn, es sollten noch weitere belastende Fakten auftauchen, was ich aber nicht glaube.«
»Sie werden den Täter woanders suchen müssen«, sagte Sabine Reich und erhob sich. »Frau Rosenzweig ist wie eine Auster, nach außen, vor allem Fremden gegenüber, mit einer etwas rauhen Schale, doch in ihrem Innern steckt eine kostbare Perle.«
Julia Durant wollte gerade ihr Portemonnaie hervorholen, als Reich abwinkte.
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