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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Einheimische gesperrt.
    Vor den Theatern warteten Trauben dicht gedrängter Besucher, während in den Seitenstraßen gierige Männer durch enge Schlitze weibliche Körper abtasteten, um danach erregt nach preiswerten Nutten Umschau zu halten.
    Karin fragte mich erneut, während sie mich begleitete: ›Hast du es?‹
    ›Ja, aber ich möchte sehen, wie du das machst‹, sagte ich, und mir kam nicht in den Sinn, dass ich sie damit erpresste.
    Sie führte mich in eine Gegend mit Altstadtwohnungen, in die ich vorher nie gekommen war. Sie hatte in einem dieser Häuser aus Großvaterzeiten eine kleine Wohnung. Küche, Diele, Wohnzimmer und Balkon. Altes Mobiliar, kitschige Kirmesrosen, Bundesligaembleme und Nacktfotos. Den Mittelpunkt des Wohnzimmers bildete ein Bett, auf dem Steiftiere an Kinderträume erinnerten.
    Karin war außer sich, als hätte sie einem bestimmten Moment entgegengefiebert. Sie hastete in die Küche, kam zurück, band sich mithilfe des Kinns gekonnt den Oberarm ab, und dann blickte ich fasziniert und voller Entsetzen auf die spitze Nadel der Spritze, die sie gezielt in die Vene drückte. Ich saß beklommen auf einem Stuhl, beobachtete, wie sich ihr Körper entspannte, in ihr Gesicht der Glanz ihrer Schönheit zurückfand.
    ›Komm, setz dich zu mir‹, sagte sie glücklich.
    Sie tat mir leid, und ich fragte sie: ›Karin, seid wann machst du das?‹
    ›Noch nicht lange und nicht mehr lange‹, antwortete sie, und ihre Hand berührte dankbar mein Gesicht.
    ›Komm näher zu mir‹, hauchte sie wie ein Kind, das sich wohl fühlt, weil es die Ängste verloren hatte.
    Ich setzte mich auf ihr Bett.
    ›Karin, warum musste es so weit kommen?‹, fragte ich sie.
    Sie begann zu weinen.
    ›Meine Eltern leben in Hamburg. Es war alles so trist. Hohe Abzahlungsraten und drohende Arbeitslosigkeit. Und immer nur redeten sie über Geld. Wenn sie sich dann wieder einig waren, war ich dran. Lernst du auch gut? Hast du die Schularbeiten gemacht? Wie war die Klausur? Wir tun alles nur für dich! Ich hatte es geschafft! Ich hatte den Realschulabschluss!‹ Sie lächelte glücklich, und ihre Stimme schlug wieder um. ›Da musste auch für mich was drin sein! Es waren fünfunddreißig Absagen auf meine Stellenbettelbriefe! Und dann war da dieser Typ, der neu anfangen wollte in Berlin, und ich bin ab mit ihm. Hier waren wir zusammen, doch sein Geld nahmen die Bullen mit und auch ihn.‹
    Karin tat mir leid. Ein Appell an Eltern und Lehrer, dachte ich mir, das wollte ich mir als meine erste journalistische Tat vornehmen.
    Karin beugte sich vor, umarmte mich. Ich fühlte ihre Tränen und Küsse auf meinem Gesicht. Sie suchte Liebe und Geborgenheit. Ich hatte mir nie im Leben etwas aus Frauen gemacht, noch heute stoßen mich Lesbierinnen ab, doch es war mein Mitleid, das mich bewegte, Karin an mich zu drücken.
    ›Ich will mich um dich kümmern‹, versprach ich ihr. Und das tat ich. Aber aus ihrem Versprechen wurde nichts.
    Hatte sie ihren Schuss, dann ging sie mit Erfolg auf den Strich. Doch immer dann, wenn dieser Rhythmus unterbrochen war, erbettelte sie von mir Geld.
    Getrieben von der Neugierde nach Charly, nahm ich einen Besuch bei Karin, die ich völlig hilflos in ihrer Wohnung vorfand, zum Anlass, den Weg in die Disco zu suchen.
    Ich traf ihn an, erkannte eine echte Wiedersehensfreude und genoss, dass er mir den Hof machte. Ich bat ihn um Hilfe, die er mir für Karin zusagte, da einige Briefe an die Eltern bisher nicht beantwortet worden waren. Im Vertrauen seiner großzügigen Worte folgte ich ihm auf die Bude, denn er nannte mich Engel der Gestrauchelten.
    Es war keine Absteige. Charly lebte erster Klasse neben Doktoren und Direktoren, die in Berlin ihre Zweitwohnungen hatten. Charly war kein gewöhnlicher Dealer. Reich machten ihn die Tausende von Spielautomaten, die er in Spielsalons, aber auch in den Kneipen in einem Radius von dreißig Kilometern aufgestellt hatte.
    Vor allem war es sein Mitleid mit den Opfern des Rauschgiftgeschäftes, das mich beflügelte, eine Story zu schreiben und mit Bildmaterial zu versehen.
    Charly war ein zärtlicher Liebhaber. Er liebte mich, verlangte nach meinem Körper und jammerte, wenn ich ihn abblitzen ließ. Großherzig versorgte er mich mit Stoff, als ich meinen Fotoapparat nahm, um Karin zu besuchen.
    Nachdem sie sich gierig die Spritze gesetzt hatte, zog sie sich aus, ließ sich in verzückten Posen von mir fotografieren, nachdem ich sie vorher winselnd und bettelnd

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