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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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suchte.
    Geografie war nicht mein Fach. Wir besuchten stets die ostfriesischen Inseln, doch die westfriesischen Inseln waren Domänen der Bewohner des Ruhrgebietes. Ich musste überlegen, schloss die Augen und tastete mich heran.
    »Schiermonnikoog«, antwortete ich spontan und freute mich, denn das konnte kein Irrtum sein.
    »Das sehe ich auch so«, sagte Ole Nababik, und sein Zeigefinger näherte sich einem verrutschten Kreuz oder einem X.
    »Dort befindet sich ein Hinweis«, sagte ich, drehte das Blatt und fand versteckt das andere X, an dem SK 433 stand.
    Obwohl die Klimaanlage funktionierte, brach mir der Schweiß aus. Noch hatte dieses Suchspiel keine Bedeutung, sondern ich fasste es mehr als eine Denksportaufgabe auf.
    Oft genug hatte ich Ablenkung vom Schulstress in Greetsiel gesucht, einer Idylle mit Fischereiromantik und Kuttern vor dem schützenden Seedeich.
    Stolz hatte ich Freunde, wenn sie mich besucht hatten, in den Hafen geführt, ihnen die Giebeldächer gezeigt, die wie aus früheren Jahrhunderten mit roten Klinkern über den Deich lugten.
    Auch in Norddeich suchte ich gelegentlich den Kutterhafen auf, und ich sah plötzlich die romantischen Namen auf ihren Rümpfen und ihre Registrierungen vor mir.
    Mir war, als tauchte ich unter, musste mit Bildern kämpfen, die sich in meine Vorstellungswelt einschlichen.
    Der forschende, neugierige Blick meines Gegenübers ruhte auf mir, als ich langsam wie aus einer Narkose zu mir kam.
    Der Plan war mein Freund, ihm verdankte ich, dass ich noch lebte und meine Tochter noch Chancen hatte, sich aus einem Teufelskreis zu befreien. Es mochten nur Sekunden gewesen sein, während ich mich in einer anderen Wirklichkeit des Traums befand.
    »SK 433 bedeutet die Registrierung eines Fischkutters der Insel Schiermonnikoog«, sagte ich.
    Nababik, dem ich nicht anmerkte, ob er mein Abtauchen in die Traumwelt wahrgenommen hatte, zeigte mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle der Karte.
    »Ganz unten, wo man sich die Küste denken könnte, befinden sich weitere Zahlen. Kannst du sie entziffern?«
    Ich hatte Mühe, sie trotz meiner Lesebrille zu lesen.
    »287-58«, las ich.
    »Wenn wir Punkte mitlesen würden, dann könnte es sich um ein Datum handeln«, sagte Nababik.
    Ich bemühte mich erneut. So konnte es sein, denn der 28.7. bis 5.8. konnte gemeint sein. Dahinter musste ich nach einem Sinn suchen.
    »Wann erreichen wir Spanien?«, fragte ich.
    »Na, in drei bis vier Tagen«, überlegte der Erste Offizier.
    »Ole, nehmen wir an, die hätten in Sant Feliu de Guixols einen neuen Kapitän für mich, wie lange wäre die Sea Ghost nach Holland unterwegs?«, fragte ich ihn und wunderte mich selbst über die Sprünge meiner Fantasie.
    Nababik begann zu rechnen. Ich sah, dass ihn einiges, was ich spontan geäußert hatte, stark beschäftigen musste. Mehrmals schüttelte er den Kopf.
    »Ich muss eine Liegezeit einkalkulieren, wir könnten in etwa zehn Tagen Holland erreichen«, sagte er.
    »Und genau das kommt hin«, antwortete ich, »dann schreiben wir den achtundzwanzigsten Juli.«
    »Meine Ordern enthalten aber keine entsprechenden Angaben«, sagte er und fuhr fort: »Aber aus dem, was uns jetzt vorliegt, ist zu schließen, dass am besagten Termin ein Kutter bereitliegen wird, um das Rauschgift zu übernehmen. Sie werden uns bezahlen, fürstlich versteht sich, wir werden Waffen übernehmen, allerdings wie üblich in Antwerpen, um sie in den Libanon zu schaffen.«
    Er sprach das so vor sich hin, während ich nicht nur ans Ende meiner Kapitänsrolle dachte, sondern meine Liquidierung sowie den Tod Ingas und Kayas befürchtete.
    Ängste erfassten mich. Die Organisation würde uns in Spanien von Bord holen und unter dem Vorwand, uns in die Freiheit zu fahren, den Weg in die Berge nehmen und uns irgendwo in der Einsamkeit zwischen rissigen Felsenwänden erbarmungslos erschießen. Die südliche Sonne würde unsere Skelette bleichen, und niemand würde erfahren, welchen verbissenen Lebenskampf wir geführt hatten.
    Noch etwa vierzehn Tage können wir unser Leben genießen, rechnete ich mir aus. Das ist nicht viel, für einen Mann der fünfzig Jahre alt ist, noch weniger für Studentinnen, für die die Zukunft mit zweiundzwanzig Jahren erst begann.
    Noch vierzehn Tage leben, Kaya in die Augen sehen dürfen, mich an dem jungen, schönen Körper erfreuen zu können, der meine vergessene Manneskraft wie einen schlafenden Vulkan geweckt hatte.
    Nababik rief mich in die Wirklichkeit zurück.

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