Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Seine wohltuende Stimme kämpfte gegen meine Untergangshysterie.
»Wir sind für die Organisation verschollen. Das gibt uns eine Chance! Du und die Mädchen, ihr sollt nicht ihre Opfer werden«, sagte er entschlossen.
»Und wie willst du das verhindern?«, fragte ich und fühlte, wie die Spannung und Hoffnung mein Blut schneller kreisen ließen.
»Wir laufen einen anderen Hafen an. Dort loten wir aus, welche Chancen für euch bestehen«, antwortete er, und seine Augen blickten mich listig an.
»Das gefällt mir«, sagte ich froh und wusste, dass ich diesem Mann vertrauen konnte, denn er hatte sich in Inga verliebt.
Als er mich verlassen hatte, suchte ich Zuflucht in Gebeten, mit denen ich die Mutter Maria um ihren Segen für mich, Inga und Kaya anflehte.
Kapitel 9
Es war 20 Uhr. Ich hatte meine Kabine auf Hochglanz gebracht, Kekse ausgelegt und Achmed Ben Dota hatte englischen Tee persönlich nach meinen Angaben aufgebrüht. Es fehlten nur noch die Kluntjes für meinen Ostfriesenabend.
Die Sonne schien noch im schrägen Winkel auf die Bullaugen. Die Klimaanlage hielt die Temperatur in angenehmer Höhe.
Inga und Kaya betraten mein Reich. Sie schauten vorsichtig hinter sich, als sie die Tür zuzogen.
»Keine Sorge, zurzeit seid ihr hier sicherer als zu Hause«, sagte ich zur Begrüßung.
Ich schritt ihnen entgegen, küsste meine Tochter, und als ich Kaya an mich drückte, wurde ich rot wie ein Jüngling.
»Setzt euch«, forderte ich sie auf und wies auf meine Koje, der eine teppichähnliche Tagesdecke den Bettcharakter nahm.
Ich setzte mich in den kleinen Sessel, schenkte ihnen Tee ein und sagte zu meiner Tochter: »Inga, du weißt, was mich interessiert. Die letzten Tage haben mir mehr Lebenserkenntnisse vermittelt als all die Jahre meiner Tätigkeit als Erzieher. Erzähl mir, was dir zugestoßen ist.«
Meine Tochter wurde weder verlegen, noch sah sie in mir eine Person, die den Richter spielen wollte.
»Vater, du kennst meinen Berufswunsch. Ich möchte Journalistin werden, und sollten wir den Fängen dieses Verbrechersyndikates entkommen, woran zu glauben mir immer noch der Mut fehlt, dann werde ich meine erste große Reportage schreiben!« Ihre Stimme klang nicht weinerlich, eher gefasst und kämpferisch.
Ich trank den köstlichen Tee, der mich an mein Zuhause erinnerte, und bewunderte ihre Selbstsicherheit.
»Papa, es fing harmlos an. Ein junges Ding, gerade siebzehn Jahre alt, hängte sich kurz vor Weihnachten bei einem Bummel in meinen Arm und bettelte mich um zwanzig Euro an. Ich war entsetzt, und als ich sie abschüttelte, drohte sie mit Selbstmord.
Karin hieß sie, sah nett aus, und mir schien ihre Verzweiflung nicht gespielt. Ich wurde weich. Sie erregte mein Mitleid. Kälte und ein beginnender Schneefall taten das ihre dazu.
›Was willst du mit dem Geld anfangen?‹, fragte ich sie.
›Ich benötige dringend einen Schuss! Es ist der letzte, dann höre ich auf damit‹, antwortete sie.
O Gott, dachte ich und gab ihr das Geld. Sie stürzte davon, hatte allerdings nur einen kurzen Weg, wie ich feststellte. Ich folgte ihr neugierig und beobachtete, dass sie mit einem Mann in ein Gespräch verwickelt war. Danach betrat sie eine Disco.
In der Nähe befand sich das Café Kranzler. Ich wollte nachdenken, spürte die nasse Kälte und entschloss mich, einen Kaffee zu trinken. Ich fand einen Fensterplatz und blickte auf den weihnachtlich geschmückten Kurfürstendamm.
Plötzlich stand das Mädchen mitten im Reklamelicht und sprach Männer an. Sie wirkte ruhig und ausgeglichen. Ein enger Pullover brachte ihren knabenhaften Körper voll zur Geltung. Sie blieb nicht ohne Erfolg und hängte sich an den Arm eines Mannes, der groß und kräftig wirkte. Seine Kleidung verriet, dass er zu denen gehörte, die sich alles leisten konnten. Ich vergaß den Vorfall, trank meinen Kaffee, suchte Ablenkung in einer Zeitung und ging nach Hause.
Einige Tage später, der Lehrbetrieb an der Uni hatte wieder begonnen, begegnete ich Karin zufällig wieder. Sie erkannte mich und bettelte mich erneut an. Ich lud sie zu einem Kaffee ein und stellte sie zur Rede. Sie sah verkatert aus, doch die Blässe nahm ihrer Schönheit nur wenig die Wirkung. Ihre Hände waren fahrig und sie selbst gehetzt.
Als der Ober uns bedient hatte, sagte sie zu meinem Entsetzen: ›Ich mache es auch mit dir‹, und legte die unruhigen Hände auf meine Schenkel. Sie hatte mich falsch verstanden und entfachte erneut meine Neugier.
›Zu
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