Letzte Bootsfahrt
vermuten, dass er nicht in der Öffentlichkeit, vor allen Leuten, mit ihnen abrechnen wollte. Der Breitwieser war zufällig allein daheim, und Sie wissen ja, wenn man einmal einen Mord begangen hat, dann ist die Hemmschwelle bei den weiteren nicht mehr so groß!“
Gasperlmaier schüttelte den Kopf. „Aber warum muss er dann das Haus meiner Mutter anzünden?“, regte er sich auf. „Er hat sein Exemplar des Tagebuches verbrannt“, sagte die Frau Doktor. „Und er wollte natürlich auch das von Ihrer Mutter. Dass das Original bei ihr ist, das hat er aus dem Tagebuch seiner Mutter gewusst.“ Die Frau Doktor parkte vor dem Krankenhaus ein, ohne Anstalten zu machen auszusteigen. „Zunächst, so sagt er, wollte er es eigentlich stehlen, aber weil die Haustür zugesperrt war, hat er einen Rappel gekriegt und Benzin gegen die Haustür geschüttet. Das Benzin hat er aus dem Schuppen Ihrer Mutter geholt, da ist ein Kanister für den Rasenmäher gestanden. Man hat ihn leider direkt von der Haustür aus gesehen, den Kanister, meine ich.“
Gasperlmaier war entsetzt. Dass er die Haustür abgesperrt hatte, dass er den Schuppen offen und den Kanister darin herumstehen hatte lassen, war also schuld daran, dass seine Mutter beinahe verbrannt war! „Meine Schuld!“, schluchzte Gasperlmaier plötzlich. „Alles meine Schuld!“ „Na, na!“ Die Frau Doktor legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Daran denkt ja niemand, dass jemand das Haus anzünden wird wollen. Wer sperrt schon bei euch in Altaussee die Gartengeräte ein?“ „Ich hätt es tun müssen!“, jammerte Gasperlmaier, dem nun wirklich zum Heulen zumute war. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, um nicht vor der Frau Doktor draufloszuplärren wie ein kleines Kind.
„Gasperlmaier“, sagte die Frau Doktor, während sie den Sicherheitsgurt löste. „Geben Sie sich nicht die Schuld für etwas, das der Loisl getan hat. Übrigens, stellen Sie sich vor, der hat sich sogar schon ein Flugticket gekauft. Und wohin, glauben Sie? Nach Miami! Der hat tatsächlich vorgehabt, sich auch noch am Georg Kaserer zu rächen!“ Gasperlmaier staunte. Wenn sie ihn nicht erwischt hätten, wäre der Loisl glatt auch noch in Amerika zum Mörder geworden. „Da wäre er am Ende noch auf dem elektrischen Stuhl gelandet!“, sagte er, und in dem Moment war ihm so, als vergönne er das dem Loisl sogar. Der Frau Doktor aber verschwieg er diesen Gedanken.
„Ich muss jetzt aber dringend nach Liezen!“, sagte die Frau Doktor. „Zur Vernehmung. Aber vorher, Gasperlmaier“, sie beugte sich zu ihm herüber und drückte seinen Oberkörper an sich. Gasperlmaier wurde ganz anders. „Vorher müssen wir uns noch verabschieden. Wir haben jetzt schon so viel miteinander erlebt. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir du zueinander sagen.“ Sie nahm Gasperlmaiers Kopf zwischen ihre Hände und drückte ihm einen weichen Kuss auf den Mund. „Ich bin die Renate.“ „Und ich der Franz!“, krächzte er, völlig benommen von den weichen Lippen und dem betörenden Geruch der Frau Doktor. Ehe er noch wusste, wie ihm geschah, stand er neben dem Auto, das die Frau Doktor im Rückwärtsgang die Einfahrt hinunterrollen ließ.
Wie in Trance ging Gasperlmaier zum Informationsschalter, fragte nach seiner Mutter und suchte dann das Zimmer, das ihm genannt worden war. Als er die Tür öffnete, starrte er in die Gesichter seiner Christine und seiner beiden Kinder, die um das Bett der Mutter herum Aufstellung genommen hatten. „Du schaust ja völlig verklärt aus, Franz?“, fragte die Christine. „Was ist denn los mit dir?“ Auf diese Frage wusste Gasperlmaier wieder einmal nichts zu erwidern.
Herbert Dutzler
© Foto: Julian Dutzler
Zum Autor
Herbert Dutzler, geboren 1958, aufgewachsen in Schwanenstadt und Bad Aussee, lebt als Krimiautor, Lehrer und LehrerInnenbildner in Schwanenstadt. Bisher erschienen bei HAYMONtb die ersten beiden Fälle des Altausseer Polizisten Gasperlmaier, Letzter Kirtag (2011) und Letzter Gipfel (2012).
Impressum
© 2013
HAYMO N verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
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