Letzte Bootsfahrt
holten ihre Schirme aus dem Ständer und ließen die Haustür hinter sich zufallen. „Muss Ihre Mutter nicht absperren?“, fragte die Frau Doktor und spannte ihren Schirm auf. Er war rosa, mit dunkelroten Rosen darauf und Rüschen am Rand. „Sie sperrt nie zu. Aber ich hab einen Schlüssel.“ Gasperlmaier holte ihn aus der Hosentasche und schloss ab, um weiteren Debatten vorzubeugen.
„Also!“, sagte die Frau Doktor, als sie im Auto saßen. „Die Exhumierung war ein Fehlschlag. Bis jetzt sind keine Hinweise auf Fremdverschulden entdeckt worden.“ „Au weh!“, sagte Gasperlmaier, weil ihm nichts anderes einfiel. So schlimm allerdings, fand er nach einigem Nachdenken, war es auch wieder nicht, dass nicht auch noch die Voglreiter Friedl umgebracht worden war. „Und die Nerven hab ich nicht, dass ich jetzt auch noch diesen Stuhlecker ausgraben lasse. Letzten Endes ist es ja auch völlig egal, ob der Loisl für drei oder vier Morde verurteilt wird. Und wenn es denn sein muss, soll’s dann der Staatsanwalt anordnen.“
„Es könnte“, wandte Gasperlmaier ein, „ja auch der Amerikaner gewesen sein. Damit nichts aufkommt, durch die anderen. Vielleicht hat er einen Killer geschickt.“ Gasperlmaier wollte nichts unversucht lassen, den Loisl ein wenig aus dem Fadenkreuz der Frau Doktor zu nehmen. „Schlechter Versuch!“, lächelte die. „Jetzt, nach fünfzig Jahren? Wie soll er an das Tagebuch gekommen sein? Dass der Loisl die Abschrift in die Finger gekriegt hat, ist wahrscheinlicher!“ „Oder seine Schwester!“, warf Gasperlmaier ein. Die Mathilde war ihm ja nicht sonderlich sympathisch. „Der Angreifer bei der Ruine oben war ein Mann, schon vergessen?“ „Der Mann von der Mathilde vielleicht?“ „Der ist doch, wie wir wissen, zu Mittag immer schon besoffen.“ Gasperlmaier resignierte. Er schien wirklich die schlechteren Karten zu haben. Das mit dem Killer aus Amerika war ja wirklich keine allzu gute Idee gewesen, gestand er sich ein.
„Haben Sie schon was gegessen?“, fragte die Frau Doktor. „Ich bin seit dem Frühstück nicht dazu gekommen. Und das war nur ein Apfel. Solange die Fahndung nach dem Loisl nichts ergibt, sind wir sowieso außer Gefecht gesetzt.“ Ausgerechnet dann, dachte Gasperlmaier bei sich, wenn er vom Mittagessen und dem Apfelstrudel mit Schlag bis obenhin voll war, hatte die Frau Doktor Hunger. Widersprechen aber wollte er ihr auch nicht. So kam es, dass sie wenige Minuten später zu dritt in der Stube beim Schneiderwirt saßen. Gasperlmaier hatte es nicht übers Herz gebracht, dem Friedrich nicht Bescheid zu sagen. Er wäre sicher bitterböse gewesen, hätte er später erfahren, dass er und die Frau Doktor es sich beim Wirt hatten gut gehen lassen, während er auf dem Posten auf das Telefon aufpasste.
Während sie auf das Essen warteten, musste Gasperlmaier noch einmal an das Tagebuch der Voglreiterin denken. Sie hatte sich damals sicherlich nicht viel dabei gedacht, wie sie nach dem Tanzen mit dem Schwaiger Michl noch am See spazieren gegangen war. Dass sie in den Michl verliebt gewesen sei, hatte sie noch hineingeschrieben. Aber als er zudringlich geworden war und sie sich geweigert hatte, war er gewalttätig geworden. Und als sie schließlich geschrien hatte, war der Manzenreiter Sepp aufgetaucht und hatte sie festgehalten, und schließlich noch der Breitwieser Ferdinand und die anderen beiden, die die Mutter heute auf dem Foto identifiziert hatte. Der Lukas Pauli, stand im Tagebuch, der hatte bloß zugesehen. Sie hätte es eh wollen, hatten sie nachher zu ihr gesagt, und dass sie ja auch ihren Spaß gehabt hätte. Natürlich hatte es nie eine Anzeige gegeben. In den fünfziger Jahren hätte das Opfer wohl selbst am meisten Schaden davongetragen, dachte Gasperlmaier, das war ja selbst heute noch nicht viel anders. Dass die Übeltäter ihre Tat vergessen oder verdrängt hatten und sogar beim Begräbnis ihres Opfers auftauchten, das, so fand er, setzte dem Ganzen die Krone auf. Eigentlich kein Wunder, wenn der Loisl da durchdrehte. Schließlich hatten er und seine Schwester am meisten darunter zu leiden gehabt, dass ihre Mutter zeitlebens die Folgen dieses Erlebnisses nicht hatte verwinden können und immer wieder ins Krankenhaus hatte müssen. Er selber hatte sie damals einfach für grantig und kränklich gehalten. Nun wusste er es besser.
Während die Frau Doktor ihren üblichen Salat serviert bekam, hatte sich Gasperlmaier lediglich ein Paar Debreziner bestellt,
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