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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vor Jahren in Hamburg seinen Job aufgegeben, obwohl beamtet und in sicherer Position, das erzählte er nun. Er war als Kunsthändler nach Amerika gegangen und pendelte seither in der ganzen Welt umher. Paris, London, aber auch Mexiko, Peru … Zufall, daß er sich gerade in diesen Tagen in New York befand!
    Wo war man stehengeblieben? Ja, Afrika! Ceylon! Und immer wenn Kranstöver von einem Land sprach, das er bei seinen Fischzügen besucht hatte, zeigte er einen Schmuck, ein altes Buch, einen Ballen Seide …
    Auch Rußland wurde erwähnt. Soll ich, soll ich nicht?, schien er zu denken - schneller Blick zu seiner Frau: Und schon stand er auf und holte eine Ikone herbei, die er gerade eben, vor einer knappen Stunde, erworben hatte. Gut und gerne zweihundert Jahre alt. In Packpapier war sie gewickelt.
    Frau Kranstöver, die einen feinen Ring trug, eine abgewetzte Kamee auf caramelfarbenem Stein, ließ die Kuppe ihres Ringfingers zart über das Antlitz der altersschwarzen Madonna gleiten. Und Dr. Kranstöver guckte Alexander an, was er wohl dazu sagt? Er habe diese Stücke quasi gerettet, denn drüben gehe ja jetzt sowieso alles den Bach hinunter.
     
    Sie setzten sich an ein von elfenbeinernen Intarsien geschmücktes Tischchen, direkt an das große Fenster, vor dem verschiedene Vasen standen, zartestes Art déco, aber auch so manches aus den fünfziger Jahren: wuchtige Stücke, mit denen man jeden Einbrecher hätte totschlagen können. Sie tranken, die wogend webende Weltmetropole vor Augen, Tee aus hauchdünnen Schalen, die aus einem antiken Schiffswrack stammten, zwei Meilen unter dem Meeresspiegel. Die junge Frau schenkte ein, und sie sagten sich allerhand Artigkeiten. Und dabei starrten sie diffusen Blicks auf die sich sanft entleerende Natur:«Schnee … Was für ein wunderlicher Regen …»
    Daß sie dem Gast eine solche Aussicht bieten konnten, schien den Kranstövers bedeutsam zu sein. Das ganze Manhattan, all die Wolkenkratzer, und nun kam auch noch ein Hubschrauber geflogen, rotblinkend, direkt auf das Fenster zu …
    Wo war man stehengeblieben?
     
    Alexander sagte, er sei nachdenklicher Stimmung. Man habe ihm im Institut einen Brief zugesteckt, hier in New York also, von jemandem, der behauptete, ihn zu kennen … Dinge gebe es im Leben! Er griff in die Tasche und holte den Brief der Frau Samson heraus, riß ihn auf und las laut vor: Mit«Lieber Alexander!»gings los, und mit«Deine Freddy»endete es. Ob er sich noch an Santa Barbara erinnere? Ob sie sich nicht treffen könnten dieser Tage?
    Freddy? Das Mädchen von der Kirchhofsmauer? Alexander atmete tief durch, aber dann rechnete er nach: War sie denn jetzt schon über Vierzig?
    Er war verwundert, aber er lachte laut dazu! So was mußte ihm passieren! Aus Santa Barbara kenne er die Frau, zehn, fünfzehn Jahre her! Schlug mit der flachen Hand auf den Brief und lachte immer wieder laut.
    Warum lachte er? War er denn nicht auch ein wenig traurig? Und als er dann die Brieftasche zog und das Foto von Freddy herausholte, arg ramponiert, das kecke Mädchen, auf der Kirchhofsmauer sitzend, und den Gastgebern zeigte, sagte Kranstöver:«Aber um Gottes willen, das ist ja erschütternd …»Und auch seine Frau zeigte sich beeindruckt: Was mochte dahinterstecken! Eine Tragödie?
    Das müsse man sich mal vorstellen, sagte Alexander: Er trage dieses Bild nun schon Jahre um Jahre auf dem Herzen und überall mit sich herum, obwohl damals nichts passiert sei, das sei noch das Schönste, jedenfalls fast nichts … - und nun komme eine solche Nachricht so sonderbar nachgeklappt.
     
    Es schneite stärker, die Flocken sanken wie ein Vorhang zu Boden, nur gelegentlich wurden sie von einer Bö zur Seite gerafft. Einen Augenblick stellte sich Alexander vor, das alles sei Konfetti, Karneval über Lethe, aber dann riß ihn das wunderliche Schauspiel doch hin. Vor ein paar Tagen noch auf den Klippen des Stillen Ozeans einen Sonnenbrand geholt, und nun dies! Leider fiel sein Blick auf den weißen Teppich: Deutlich waren seine Fußspuren darauf zu erkennen, die Schuhe, warum hatte er sie sich nicht abgeputzt?
    Sie saßen und schauten den Schneeflocken zu, und die Gastgeber waren immer noch erschüttert über den Brief, da müsse Alexander aber dringend was unternehmen … Obwohl, da habe er recht, wenn man alte Geschichten wieder aufzurühren suche - bei so was komme meistens nicht viel heraus. Zu irgendwelchen Klassentreffen sollte man nie gehen. Und sie brachten Beispiele, wo

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