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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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auch alles schiefgegangen war.
     
    Der Plattenspieler wurde angestellt, und aus speziellen Boxen hörte man nun, sehr wohlklingend und äußerst leise, die«Winterreise»:
    Manch Trän’ aus meinen Augen
Ist gefallen in den Schnee;
Seine kalten Flocken saugen
Durstig ein das heiße Weh.
     
    Frau Kranstöver hatte diese Platte aus Ostberlin mitgebracht, wo man ja spottbillig einkaufen konnte. Vielleicht glaubte sie, diese Musik sei an einem Wintertag wie diesem, an dem Flocken vom Himmel strudelten, genau das Richtige. Aber nein, diese Musik war nur die Überleitung zum Signierungsakt, den man schon vorbereitet hatte. Der Dichter sollte seine«Winterreise»signieren. Ob er wohl so nett sei … Und da sah er, daß das Buch von ihm vor vielen Jahren schon einmal signiert worden war - und er setzte seine nun doch schon ein wenig ausgeleierte Unterschrift ein zweites Mal darunter:«Alexander Sowtschick, November 1989», und daneben zeichnete er eine Wolke mit Schneeflocken. Die Gattin sah ihm über die Schulter dabei zu, schöne neue Vorderzähne hatte sie und ein Parfüm, von dem man gar nicht glauben konnte, daß es sich bei diesem Geruch um ein Parfüm handelt, den Tropfen zu zwanzig Dollar.
     
    Alexander nahm einen Schluck Rotwein und erzählte von seinen vergeblichen Versuchen, hier in den Staaten mit Bomberpiloten ins Gespräch zu kommen. Nirgends war einer aufzutreiben gewesen, weder in Boston noch in San Francisco, es war so, als ob sich diese Leute schämten für das, was sie getan hatten … Und da stellte sich heraus, daß Kranstöver selbst Bomberpilot gewesen war, natürlich in der deutschen Luftwaffe. Er holte das silbergerahmte Foto einer He 111 hervor und tippte mit seinem langen Zeigefinger darauf. Schon 1940 abgeschossen, über Sussex, durch die brennende Stadt geführt und dann sechs Jahre in englischer Gefangenschaft. Er sei nach dem Krieg dort geblieben und habe sich erst mal ein wenig umgesehen …
    Das war die Zeit gewesen, in der Alexander in Sibirien Bäume gefällt hatte. Fürs Leben hatte er dort nichts gewinnen können. Dann kamen Berlin, Leipzig und Dresden zur Sprache, die demonstrierenden Massen. Kranstöver hatte den Plan, ein Bild machen zu lassen von einem dieser Demonstrationszüge, braun verschwimmend, in übergroßem Format, an den Filmen orientiert, die man jetzt zu sehen kriegte. Er hatte die Entwicklung ja längst vorausgesehen, ja, er hatte geahnt, daß es so kommen würde. - Die Menschen lassen sich eben doch nicht alles gefallen …
     
    Aus den Lautsprechern quoll nun das Es-Dur-Klavierkonzert - die berühmte Hornstelle mit einem kleinen Kickser. - War es die sauerstoffarme Luft vor dem Kamin? Es schien Alexander, als schwanke der Boden unter seinen Füßen. Es wurde ihm«komisch», doch ehe er das noch aussprechen konnte, war es auch schon vorüber. Zeit wurde es, hier wegzukommen … Daß er sich heute abend wahrscheinlich noch mit Schätzing treffe, sagte er, was keinerlei Wirkung hinterließ. Einen Herrn dieses Namens kannte man im Appartement 56 nicht. Hosenträger in den Farben der USA trug der Kunsthändler, das hatte Alexander wohl gesehen.
     
    Frau Dr. Kranstöver brachte ihn warm und weich ins Hotel zurück.
    Noch immer schwebte Watte zu Boden, sehr vorsichtig fuhr die junge Frau von Ampel zu Ampel. Bevor Alexander dann ausstieg, hielt sie ihn zurück und gab ihm das hölzerne Herz zurück.«Das müssen Sie Freddy schenken», sagte sie. Aber da hupte man schon hinter ihnen.
    «Auf Wiedersehen und alles Gute.»
    Man würde sich nicht wiedersehen.
     
     
    Im Hotel fand er von Schätzing eine Nachricht vor.«Sehen wir uns heute abend bei dem Knastdichter? - Ich hole Sie ab.»Den Gitterdichter wolle er sich nicht entgehen lassen, das sei gewiß sehr komisch. Und Alexander fand die Aussicht wundervoll, sich hinterher etwas über diesen Mann auslassen zu können. Hoffentlich würde Schätzing seinen neuen Haarschnitt nicht beanstanden:«Wie sehen Sie denn aus?»So was könnte alles kaputtmachen.
     
    Was für ein Tag! Alexander schaltete das Fernsehgerät ein und rief in Sassenholz an. Er wollte Marianne erzählen, daß für den nächsten Tag ein Podiumsgespräch mit Achilles vereinbart sei, er habe ziemlichen Bammel davor. Auch Prack komme, und die Sache werde vom Fernsehen aufgezeichnet …
    Endlich war Marianne dran, sie betrete eben das Haus, sei ziemlich aus der Puste.«Gut, daß du anrufst!»sagte sie. Sie hatte eine besondere Nachricht: Es ging um

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