Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
wie in Europa. Vorsintflutlich, aber ganz interessant. Mal neugierig, was er dazu sage.
     
    Der starke Wagen kletterte die Berge in steilen Kurven hinauf - immer rund um den Berg herum. Wasser floß über den Weg. Das Wasser, obschon klar, solle man besser nicht trinken, stand auf Schildern, es gebe Vögel, die ihren Kot hineinfallen ließen, und dieser sei möglicherweise radioaktiv verseucht …
     
    Während sie die Straße hinauffuhren, strikt bergauf, spiralig immer höher und höher - im Tale bellten die Hunde -, mußte Sowtschick an Indianer denken, die in der Frühzeit von hier oben ins Tal geblickt hatten, andere Gestalten als die Blackfoot mit ihrer Wohlfahrtsunterstützung, stolze Männer, mit Federbüschen geschmückt, das Gesicht breit bemalt, unbeweglich auf dem Pferd sitzend, lüstern auf Beute, die es im Tal zu machen gebe. Alexander dachte, daß hier vielleicht später ein Indianer aus Bronze aufgestellt werden würde, übergroß, vom Tal aus gut zu sehen.
     
    Er wunderte sich, daß die Frau den Berg hinauf ständig im vierten Gang fuhr, immer kurz vorm Abwürgen, von einem View zum andern, er war schon versucht zu sagen: Aber, liebe Dame, nehmen Sie doch den dritten oder den zweiten Gang … Aber das wäre typisch deutsch gewesen, und vor so was muß man sich im Ausland hüten. Typisch deutsch und typisch Mann. Mit so was brachte man sein ganzes Land in Verruf.
     
    Nach jeder Kurve sah man unten im Tal, über den wilden Berghang hinweg, den Campus liegen, jedesmal etwas kleiner: weiße Gebäude mit grünen Dächern, Rasen davor und dahinter, Häuser, in denen Physik getrieben wurde, neuartige Nachtsichtgeräte zur Früherkennung von Feinden erfunden, Biologie zur Veränderung des Menschen betrieben, aber auch mittelalterliches Liedgut der seltensten Art erforscht,
    Sommer will uns wieder bringen
grünen Wald und Vogelsingen …
    Irgendwo da unten stand auch das Gästehaus, aus dieser Höhe nicht recht auszumachen, in dem es eine Menge Doorknocker gab, von denen sich vielleicht einer abmontieren ließe, bei Gelegenheit.
    Am Horizont flitzten Autos über den Highway, wie in einem Mäusekino, auch das war zu erkennen. Das war derselbe Weg, wie ihn vor vielen Jahren die Siedler gezogen waren, mit schweren Ochsenkarren, von Indianern lüstern beobachtet, so wie die Autos jetzt von Alexander mit Brille und Hörgerät.
     
    Schließlich erreichten sie ein Dorf mit Kirche, Schule und ein paar Holzhäusern, von denen die meisten leer standen. Auch ein Saloon war vorhanden, von der Art, wie man sie aus Western kennt. Goldgräber hatten hier gesoffen, als es noch Gold zu schürfen gab, und ihre Nuggets verpokert.
    Vor der Kirche, weiß mit grünem Dach, spielten Kinder mit Walkie-talkies. Sie riefen«Hallo?»in das Mikrophon und«Wie gehts?»-«Gut!»antworteten die andern, was man auch ohne Wechselsprechanlage mitgekriegt hätte.
     
    Als die Kinder den Jeep hörten, kamen sie herbeigelaufen. Auch Frauen ließen sich in Türen und Fenstern sehen. Im Hintergrund ihrer Stuben flackerten die Fernsehgeräte.
    Die Kirche war geschlossen. Alexander stellte sich auf die Zehenspitzen und sah durch blinde Fenster in den kleinen Saal hinein. An einen Western mußte er denken, das Harmonium war getreten worden, und die Gemeinde hatte gesungen, während draußen geschossen wurde …
     
    Neben der Kirche stand die Schule, weiß mit grünem Dach, eine Wetterstation davor, auch sie weiß gestrichen und mit grünem Dach versehen, aus der ein kaputtes Thermometer heraushing. Unterricht fand nicht statt an diesem Tag, es war ja Sonntag. Der Lehrer war natürlich zu Haus, das heißt unten in der Stadt bei seiner Familie.
    Eine freiwillige Helfersfrau begrüßte Alexander, sie sagte freundlich«Ah, ein Gast aus Germany!»und erklärte ihm, wie eine One Room School funktioniert, eine Schule also, in der die Kinder sämtlicher Jahrgänge in einem einzigen Raum und alle gleichzeitig unterrichtet werden. Früher gang und gäbe, doch nun eine moderne Errungenschaft. Viel effektiver als die Massenabfertigung in den großen Schulen der Stadt.
    Verschieden hohe Stühle und Tische standen herum, zu dritt, zu viert gruppiert, ein Globus, ein Kochherd und ein Klavier. Auf den Klaviertasten klebten Schildchen mit der Bezeichnung der Töne.
    Offenbar war hier grade die Sonnenblume behandelt worden, ein welkes Exemplar stand an der Tür, und Bilder von Sonnenblumen hingen an eine Wäscheleine geklammert quer durchs Klassenzimmer,

Weitere Kostenlose Bücher