Letzte Gruesse
dachte Alexander.
Am Nachmittag holte Dr. Neubert Alexander zu einem kleinen Ausflug ab. Nach Shepperdy gehe die Reise,«Shepperdy, Sie wissen schon».
Also los. Auf, nach Shepperdy!
Shepperdy? - Nach und nach kam heraus, daß Shepperdy das größte Freiluftmuseum für Kriegsgerät in den Staaten war, was sage man - der ganzen Welt! Eine Sehenswürdigkeit wie die Geysire im Yellowstone-Park. Dr. Neubert habe gedacht, das interessiere ihn, denn auch Adolf Schätzing habe das sehen wollen, der habe sogar ausdrücklich danach verlangt.
Das Museum: Auf einer umzäunten Wiese standen alte deutsche Panzer, französische Renaults, amerikanische Shermans. Die deutschen Panzer mit Einschußlöchern vorn und hinten. Die amerikanischen sauber geputzt. Dekorativ auf der Wiese gleichmäßig verteilte Soldatengräber mit Kreuz und Stahlhelm: Das waren wohl Attrappen. Hatten die Soldaten ihre Fahrzeuge noch verlassen können?
Ein Eisenbahngeschütz stand da auch, mit sehr langem Rohr. Damit habe man über den Kanal schießen wollen. Pro Woche ein Schuß oder so ähnlich. Das Dings habe jedoch nie richtig funktioniert.
Er selbst könne überhaupt nicht verstehen, daß man auf Kriegsgerät scharf sei, sagte Neubert, aber Schätzing sei von einem Panzer zum nächsten gestakt, habe alles fotografiert, nichts ausgelassen. Habe sogar über Fachwissen verfügt. Ellen Butt-Prömse jedoch, der man einen Besuch dieser Ansammlung natürlich auch angeboten hatte, habe sich sofort übergeben müssen.
Sie blieben im Wagen sitzen, den Fotoapparat auf dem Schoß. Alexander erzählte dem Herrn Neubert bei geöffneter Tür von der russischen Gefangenschaft. Er dachte daran, wie er und seine Kameraden mit geöffneten Mänteln im Schnee gestanden hatten und von den Russen gefilzt wurden. Uhr weg, Ring weg und das silberne Zigarettenetui. Sein Tagebuch hatte in der hinteren Tasche des Mantels gesteckt, und sie hatten es ins Feuer geworfen. Sein Tagebuch!
Wie immer bei diesem Thema, steigerte er sich hinein in seine Erinnerungen. Die Bauern hatten ihnen noch zugewinkt, als sie abgeführt wurden. Der lange Marsch, in Fünferreihen, ohne Wasser und Brot … In Rußland dann Hunger, Kälte und Typhus …
Was er auch erzählte, stets kam er auf den Kameraden Lehmann zu sprechen, der ihm im Lager gut zugeredet hatte und nachts die Sterne erklärt, über den Stacheldraht hinweg. Daß es noch andere Werte gibt als das bißchen Fressen, hatte er gesagt. Das war nun über vierzig Jahre her. Und das hatte er nicht vergessen.
Die verschiedenen Formen der«stählernen Kolosse», grotesk, aber sinnreich … Was ersinnt nicht ein Mensch, um sich zu schützen und andere zu töten? Vielleicht hatte Schätzing als dünnhäutiger Lyriker im besonderen das Bedürfnis nach Schutz - in Berlin mit zwei Frauen zusammengelebt und den ganzen Tag gebruzzelt und gekocht? Und alle Interviews abgelehnt? Das sprach doch Bände!
Die Geschichte seiner Flucht, die durch alle Zeitungen gegangen war: im Kofferraum eines Autos zusammengekrümmt - das hing ihm gewiß noch an.
Es war sehr die Frage, ob es einem jüngeren Menschen gelingen könnte, sich vorzustellen, was es für ein Gefühl ist, wenn diese Kolosse sich nähern und sich über dem Einmannloch, in dem der Landser sich verbirgt, sachte mal eben auf der Stelle drehen. Alexander sah die Dinger noch am Waldrand stehen und die Geschütze dann so ein bißchen gehoben und gesenkt und leicht gedreht, als wollten sie den Feind erschnüffeln …
Auch Dr. Neubert hatte Geschichten zu erzählen: Seine Eltern aus Schlesien geflohen und dann in Dresden ausgebombt und nach dem Krieg noch einmal alles verloren. Der Vater hatte in Connewitz eine kleine Druckerei aufgemacht, Maschinen aus den Trümmern geborgen und wieder in Gang gebracht. Und als alles lief, war ihm der Betrieb weggenommen worden.
Nun traf die Männergesellschaft«Honeywell»ein. Einem Bus entströmte sie, und der Witzemacher vorneweg, und das Gelächter hinterher.
«Was war mit Ihnen denn um Gottes willen in Philadelphia los?»fragte Neubert auf der Rückfahrt.«Was hat’s da gegeben? New York hat gesagt, mit Ihnen sei nicht gut Kirschen essen. Sie sind doch ein ganz friedlicher Zeitgenosse.»
Man habe ihm geraten, ihn bei dem geringsten Anlaß nach Hause zu schicken.
Am nächsten Morgen wurde Alexander schon um sieben Uhr geweckt: Eine verwachsene Italienerin trat in sein Zimmer und stellte sich an sein Bett, auf dem er
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