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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gelegen, große Rasenplätze und in der Ferne Berge! Ländlich, und doch luxuriös …»An deutsche Universitäten mußte er denken, an düstere Gebäude, auf Stelzen, mit schwarzen Stahlplatten verkleidet, vollgekleistert mit dümmlichen Parolen. Alle vier Reifen seines Wagens hatte man an einer dieser Universitäten zerstochen. War es Bochum gewesen? Oder Wuppertal? In einer fortschrittlichen Studentenzeitung hatte ein Aufsatz von Adolf Schätzing gestanden: Von Greisen habe man die Nase voll. Man solle lieber junge Autoren einladen.
    Wie alt mochte Schätzing sein? Doch auch schon an die Vierzig?
    Eine ländliche Universität in angenehmer Umgebung. Alles sauber, alles ordentlich. Ein Städtchen in der Nähe, durchaus europäisch, mit Waschsalon, Fotogeschäft, Rechtsanwälten und einer Kirche, vor der eine alte Kanone stand. Hierbleiben? Deutschland hinter sich lassen? So vieles würde sich dann von selbst erledigen.
    Mergenthaler gehörte nicht zu den jungen Autoren, die mit eingelegter Lanze gegen die Alten vorgingen, ein kulanter Mann, nur eben etwas schwach auf der Brust … Warum hatte er ausgerechnet ihn als Dünnbrettbohrer bezeichnet? Nur eben so dahingesagt, und nun saß man damit an? Wer denkt sich denn etwas bei einer so beiläufigen Frozzelei? Was alles war bereits über ihn gesagt worden? -«Konservatives Schwein»- das war noch das Geringste. Da hatte er doch auch nicht die Gerichte angerufen. Von den durchstochenen Reifen ganz zu schweigen. Als Greis bezeichnet zu werden, mußte man sich denn das gefallen lassen? Daß ihm der Kalk bereits aus der Hose riesle, hatte vor einiger Zeit sogar in einem exklusiven Literaturblatt gestanden! Was war denn das für eine Kategorie?
     
    Das Schreiben einstellen und jeglichen Kontakt abbrechen, privat und offiziell. Der Akademie die Tür vor die Nase knallen und den PEN verlassen. Bei Tagungen dieser Institutionen sah man ja kaum noch ein bekanntes Gesicht. Wie war das früher immer gemütlich gewesen! Mit Engelbert von Dornhagen ein Glas Wein getrunken oder auch mit Nelsen, der die Nazizeit mit Anstand durchgestanden hatte und weit herumgekommen war in der Welt.
     
    Nein, dieser ganze Betrieb ging ihn nichts mehr an. Sich selbst zurückziehen, bevor man entfernt wurde.
    Alexander sah sich als Rentner im Supermarkt einkaufen, die Einholtasche in der Hand, eine Baseballmütze auf dem Kopf. Und dann auf einer Veranda sitzen, in einem Schaukelstuhl, die Vögel füttern: Es war ein Haus aus einem Western.
    Bei der Indianerrotte am Athabasca würde er nicht leben wollen, wer hätte dort schon freiwillig leben wollen? Zur nächsten Stadt acht Stunden hin, acht Stunden zurück. Die schüttere Waldwüstenei, der tosende, krachende Fluß … Auch zu den ordentlichen Amish People zog es ihn nicht. Vielleicht auf einen Turm in der Wildnis, nach Waldbränden Ausschau halten, und alle vier Wochen kommt die Post.
     
    Schätzing: In Hamburg überlegten sich die Medienleute jetzt vielleicht, ob sie ihm ein Fernsehteam nachschickten, um zu verfolgen, wie dieser Mann, der schon so viel Schweres erlebt hat - im Osten Publikationsverbot und um ein Haar verhaftet -, auf die Neue Welt reagiert. Ihn zu zeigen, wie er die 5th Avenue hinunterschlendert, an Bratküchen mit verdorbenen Hamburgern vorüber, mit amerikanischen Autoren zusammensitzt und denen endlich mal sagt, was die Bundesrepublik für ein verrottetes Land ist. Und daß er viel lieber in der DDR geblieben wäre, ein Staat, in dem das Pfund Butter nur eine Mark und ein Brot fünfzig Pfennig kostete? Vielleicht wäre er ja dort geblieben, wenn die Behörden etwas freundlicher zu ihm gewesen wären und ihn in Ruhe gelassen hätten?
     
    Fremdartige und doch vertraut wirkende Vögel hüpften auf dem Rasen. Auch sie waren übriggeblieben, wie der Baum. Sie guckten Alexander an. Warteten sie auf etwas? Er hielt ihnen die leere Hand hin, die Menschenhand, die Frieden schließen will mit der Kreatur. Daß sie leer war, kriegten die natürlich sofort mit.
     
    Es fehlte im Campus an Studenten, die sich um ihn hätten lagern können, Jugend, die dem Alter lauscht. Aber als Alexander schon ins Haus gehen wollte - was hatte er hier verloren? -, marschierten junge Leute auf, beiderlei Geschlechts, in speziellen weißen Turnanzügen. Sie stellten sich in zwei Reihen gegeneinander und begannen auf Kommando Selbstverteidigungsgriffe zu üben. Linke Faust vor, rechte Faust vor, Fuß, Knie. Sie standen zwei Meter entfernt voneinander,

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