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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hätten sich also beim besten Willen nichts tun können, aber sie waren ernsthaft bei der Sache. -
    Die Japaner hatten auf diese Weise an ihren Gefangenen Bajonettangriffe trainiert … - Damit keiner aus der Reihe tanzte, wurde auf einem Tamburin der Rhythmus angegeben. Rechtslinks-geradeaus! Turnvater Jahn: frisch, fromm, fröhlich, frei! Ein Stadion voller Leute mit Turnstäben. Kurze Hosen, die übers Knie reichen. Auch die waren schon längst wieder Mode, sogenannte Bermudashorts.
    Einer solchen Kohorte im Bösen zu begegnen, würde gewiß nicht angenehm sein.
    Der Trainer, der hier das Kommando hatte, schien ein Koreaner zu sein. Vielleicht dachte der immerfort an sein geteiltes Vaterland. Bei jedem Boxstoß an sein Vaterland.
     
    Am nächsten Morgen führte man ihn durch die Bibliothek, auf die man stolz war. Eine Schulklasse wurde gleichzeitig eingelassen (Kaugummi vorher ablegen). Ein Tisch war für sie vorbereitet, an dem sollten sie - von Tausenden von Büchern umgeben - eigene Gedanken niederlegen, die dann gesammelt werden würden und in ein paar Jahren dann vielleicht sehr wertvoll.
     
    Alexander stand ziemlich herum, bis man sich seiner annahm. Die Bibliothek war schon anderen deutschen Schriftstellern gezeigt worden, seit Jahren kamen und gingen sie, sehr linke Autoren und sehr liberale, süddeutsche, aus Dialektgründen hier kaum zu verstehen, und norddeutsche, deren politisches Denken nicht vermittelbar war, und natürlich auch Besucher aus der DDR, die schweigsam ihre Meinung für sich behielten. Daß sie in der DDR ebenfalls Bibliotheken haben, das war das einzige, was man aus ihnen herauskriegte.
     
    Auch Adolf Schätzing war hiergewesen. Was er von diesem Manne halte, wollte eine asiatisch aussehende Bibliothekarin wissen, die eine sehr starke Brille trug. Nichts von Marx habe er sehen wollen, dessen Notizen für den Ausleih gesperrt waren, weil zu wertvoll. Er habe nach seinen eigenen Werken gefragt, die Gott sei Dank vollständig vorhanden waren, und er habe moniert, daß der Bibliotheksstempel schief auf den Schmutztitel gedrückt sei. Eine so große Bibliothek, und die Stempel schief und krumm?
    Danach war er auf dem Friedhof umhergestakst und hatte Grabsteine studiert. Er habe es sehr bedauert, daß grade keine Beerdigung stattfand …
    Alexander fragte nicht nach seinen eigenen Werken, er wollte sich bei guter Laune halten.
     
    Danach war ein Stehempfang im Hause des Rektors hinter sich zu bringen, das ebenfalls mit Indianerverfolgungsszenen dekoriert war.
    Die Gäste kamen in Turnschuhen und grellbunten, karierten Hosen. Alexander setzte sich in den einzigen Sessel, der in der Ecke stand, zwei Stunden stehen, das war nicht seine Sache. Das führte dann allerdings dazu, daß er sich immerfort erheben mußte, weil ihn dauernd jemand fragte, wie lange er schon in den Staaten ist, und ob es ihm hier gefällt. Und ob er Schätzing kennt, und was er von dem hält.
    So ganz war Schätzing nicht ihre Sache gewesen, das kriegte er immerhin mit. Der hatte in das Gästebuch einen Saucenklecks gemacht und den dann noch mit der Serviette breitgedrückt …
     
    Die Bedienung der akademischen Gäste nahm der Rektor selber in die Hand, da seine Frau nicht da war. Er stellte die bereits dekorierten Häppchenplatten auf den Tisch und faltete die Hände zum Gebet: Seine Frau war an diesem Vormittag unabkömmlich. Ihr Schulverein hatte Sitzung. Jeder Mensch hat schließlich seinen eigenen Selbstverwirklichungsplan, und dem muß er folgen. Verbiesterte Eltern pädagogisch beraten, sie nicht im Stich lassen, wenn die Kinder zur Spritze greifen. Das war schließlich nicht das Schlechteste.
    «George», sagten die Kollegen zum Gastgeber, und sie fragten ihn, ob er nicht was Trinkbares im Hause hat. - Ach ja, das Bier, wo steht es? Und dann gingen allesamt in die Küche und sahen im Frigidaire nach. Ja, da stand allerhand Trinkbares. Sie lachten kameradschaftlich, und der Rektor, der Physiker war und kurz vorm Nobelpreis stand, lachte auch kameradschaftlich. Den Handgriff vom Kühlschrank auch mal wieder richtig festschrauben.
    Er trug ein ausgezupftes Pflaster über dem mit Schorf bedeckten Handteller. Immerfort kratzte er darüber hin. Die magersüchtige Tochter ging einmal durchs Zimmer, an den Häppchenplatten entlang.«Hallo, Shane!»wurde gerufen, aber da war sie schon wieder draußen. Sie studiere Psychologie, wurde gesagt, mache grade ihr Diplom. Ihr Psychiater habe gemeint: Die kriegen wir wieder

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