Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Wie willst du da
draußen Vorgehen?«
    »Judy soll ihre Geschichte von Anfang
an durchgehen und mit dem Fenster in ihrem alten Zimmer beginnen. Hoffentlich
machen wir damit Punkte bei der Jury.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie ist ruhig und zuversichtlich.«
    »Und dir?«
    »Ich bin ein Wrack. Ich glaube, sie
hält mich hin.«
    »Bleib am Ball. Judy ist unsere einzige
lebende Zeugin. Lassen wir ihre Erinnerung für sich selbst sprechen.« Nell
Loomis kehrte von der Toilette zurück und ging in die Dunkelkammer. Ich sagte
Jack, ich müsse gehen, und folgte ihr.
    Sie schob einen Negativstreifen in den
Halter des Vergrößerungsgeräts und blies mit Druckluft den Staub von der
Oberfläche. Sie sah mich an und runzelte die Stirn.
    »Kann ich zuschauen?«
    »Meinetwegen. Nur stehen Sie mir nicht
im Weg.« Sie schob den Halter ins Gerät und schaltete von Neon- auf orangefarbenes
Dunkelkammerlicht. Die Zeituhr surrte, Licht blitzte auf und erlosch wieder,
und der Zeitmesser schaltete sich aus. Nell nahm das Fotopapier aus dem
Vergrößerungsgerät und legte es in die Entwicklerschale.
    »Ich möchte die Belichtungszeit überprüfen«,
sagte sie.
    Ich trat näher und beobachtete über
ihre Schulter, wie auf dem Papier in der Flüssigkeit die Bilder sichtbar und
schärfer wurden. Die Tafel beim Bankett im Blue Fox, Dulles hinter dem
Rednerpult. Rechts von ihm Russell Eyestone. Rechts von Eyestone seine Frau und
Leonard. Und rechts von Leonard Vincent Benedict — mit trübem Blick,
wahrscheinlich betrunken. Die Kleidung der Männer: dunkles Dinnerjackett,
weißes Hemd und Fliege. Dulles trug, wie es sich für einen Konservativen
gehörte, ein strenges Plisseehemd mit schlichten Manschettenknöpfen. Das
gleiche bei Russell Eyestone. Benedict und Leonard — wilde und verrückte Kerle,
die sie damals waren — hatten Rüschenhemden vorgezogen.
    Nell Loomis sagte: »Belichtung stimmt«,
und legte das Papier ins Unterbrecherbad. »Sie sind sicher, daß Sie richtige
Abzüge brauchen, nicht nur Kontaktabzüge?«
    »Kontaktabzüge bringen nicht die
Details, die ich brauche.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist
Ihr Geld.« Sie ging zurück zum Vergrößerungsgerät und machte sich endgültig an
die Arbeit.
    Vom Vergrößerungsgerät zum Entwickler,
vom Entwickler ins Unterbrecherbad, vom Unterbrecherbad ins Fixierbad: Eyestone
sen. schüttelt Dulles beim Bankett die Hand. Dulles mit Benedict, mit Leonard,
mit Leuten, die ich nicht kannte. Paare beim Gespräch in der Lobby. Dulles beim
Verlassen des Restaurants inmitten einer Phalanx von Sicherheitsbeamten.
    »Können Sie sich die Fotos vom Empfang
vornehmen?« sagte ich zu Nell Loomis.
    Wieder Paare beim Gespräch in einem
Raum, der wie der Ballsaal im St. Francis aussah. Ich erkannte den jungen
Stameroff, den damaligen Bürgermeister von San Francisco und andere Personen
des öffentlichen Lebens, unter ihnen einen Mann, der später zweimal Gouverneur
von Kalifornien werden sollte. Eine Aufstellung zum Empfangsdefilee: Dulles,
Russell Eyestone und Frau, andere Institutsmitglieder mit ihren Frauen, deren
Gesichter mir jetzt langsam vertraut wurden. Einer von denen, die an Dulles und
Eyestone vorbeidefilierten, war mir inzwischen ebenfalls vertraut: Roger Woods,
mager und ein wenig linkisch wirkend in seiner förmlichen Aufmachung. Und dann
das Foto, das die Zeitung von den Eyestones zusammen mit Dulles ausgewählt
hatte: tadellos gekleidet, korrektes Lächeln auf den Lippen, aber Leonard
wirkte wie geschrumpft...
    Ich starrte auf die beiden letzten
Abzüge, bis Nell Loomis sie mit der Zange packte und aus dem Entwickler holte.
Starrte weiter, als sie im Unterbrecherbad versanken. Ging zu den Abzügen, die
im Fixierbad schwammen, und fischte darin herum, bis ich einen mit den beiden
Eyestones und Vincent Benedict in der Lobby vom Blue Fox fand.
    Und entdeckte, was diese Fotos für eine
der leitenden Persönlichkeiten des Instituts belastend machte.
    Nell Loomis stieß mich an. »Habe
gesagt, Sie sollen mir nicht im Weg stehen«, brummte sie ärgerlich.
    Ich trat zur Seite. »Wie lange dauert
es, bis Sie die wieder aus dem Trockner haben?«
    »Alle?«
    »Nein, nur diese beiden, und noch die
zwei.«
    »Das geht ziemlich schnell, wenn es
weiter nichts ist.«
    »Danke.« Ich ging nach vorn ins
Atelier. Sank auf das Sofa, sprang aber sofort wieder auf die Füße. Wanderte
ziellos zwischen den Lampen, Stativen und dem Berg von Dosen mit
Artischockenherzen herum. Und dachte dabei

Weitere Kostenlose Bücher