Letzte Instanz
Gespräche. Das Foto wurde in einem der wenigen
Momente aufgenommen, in denen wir tatsächlich zusammen waren. Mir war es egal.
Ich war nur aus Trotz hingegangen.«
»Warum?«
»Vincent und ich hatten am Nachmittag
zuvor Streit gehabt. Ich wollte zu der Party und vor seiner Nase herumtanzen,
damit es ihm leid tat, daß er mit seiner Frau da war und nicht mit mir. So
ungefähr.« Sie verzog bitter den Mund und zündete sich die nächste Zigarette am
Stummel der alten an.
» Tat es ihm denn leid?«
»Nein. Er war höflich und distanziert.
Beide waren es, er und Lis. An dem Abend wurde mir klar, daß die Dinge nicht so
waren, wie... daß er Lis meinetwegen nicht verlassen würde.«
»Sie erinnern sich ganz sicher nicht an
den Namen Ihres Begleiters?«
Sie nahm das Foto noch einmal zur Hand
und sah sich das Gesicht des Mannes prüfend an. »Tut mir leid, nein.«
»Könnte es Roger Woods gewesen sein?«
»Haben Sie mich nicht schon einmal nach
dem Namen gefragt? Ja, es könnte Roger Woods gewesen sein. Es ist so lange
her.«
»Aber er war Leonards Freund?«
»Das hat Cordy jedenfalls gesagt, als
sie uns zusammenbrachte. Aber ich weiß nicht — sie sind gar nicht so
freundschaftlich miteinander umgegangen.«
»War er vielleicht zufällig ein Freund
von Melissa?«
»Na ja, als er in das Apartment kam,
schien er sie zu kennen. Übrigens, hat man herausgefunden, wer sie umgebracht
hat?«
»Noch nicht. Ich könnte mir denken, daß
das Bild etwas mit dem Mord zu tun hat. Sie hatte es in ihrer Wohnung
versteckt. Können Sie sich vorstellen, warum?«
»Nein, das kann ich nicht. Soweit ich
weiß, war Melissa nie im Institut. Ich habe keine Ahnung, woher sie das Foto
hat, es sei denn, aus Cordys Sachen aus dem Apartment. Cordy hat Fotos gern als
Souvenirs aufgehoben.« Louise Wingfield studierte es noch einmal, als könnten
die Personen von damals ihr eine Antwort geben.
»Können Sie wohl exakt feststellen,
wann es aufgenommen wurde?« fragte ich.
»Also, im Frühjahr fünfundfünfzig,
bevor Cordy sich... bevor zwischen Vincent und mir Schluß war.«
»Sind Sie dem Mann noch einmal
begegnet?«
»Nie mehr.« Sie trank aus und ging zu
der fahrbaren Hausbar, auf dem der Martini-Mixer stand. Nachdem sie sich
eingegossen hatte, schaute sie auf mein Glas, sah, daß es noch voll war, und
setzte den Mixer wieder ab.
»Reden wir jetzt über Rick Chavez.«
»Ich habe der Polizei bereits
gesagt...«
»Ich weiß, was Sie der Polizei gesagt
haben. Aber vielleicht gibt es etwas, wonach sie zu fragen vergessen hat.
Chavez gehörte zu Ihren Schützlingen?«
»Ja, aber nicht zu den besonders
vielversprechenden. Doch ich mochte ihn. Er hatte eine schlimme Zeit hinter
sich — Familienprobleme und ein Mädchen, das an einer Überdosis gestorben war.
Oft kam er nur, um mit mir zu reden.«
»Haben Sie ihm einen Job verschafft?«
»Ich habe ihn in eine Ausbildung für
Wartungsdienste gesteckt — Hausmeisterarbeiten. Unser Center am Potrero Hill
macht das. Er hat mehrere Stellen gehabt. Mit der ersten hat es nicht
geklappt.«
»Aber mit der zweiten?«
»Ich weiß nicht. Möglicherweise auch
nicht. Vielleicht war er deshalb an dem Tag bei mir, als Sie mich besuchten.
Ich hatte ihn eine ganze Weile nicht gesehen.«
Oder er kam zu dir, dachte ich, weil er
ein größeres Problem als einen verlorenen Job hatte. Vielleicht machte es ihm
Kummer, in welche Klemme er dadurch geraten war, daß er für Geld eine alte Frau
belästigt hatte. »Könnten Sie wohl heute noch herausbekommen, ob er gearbeitet
hat und für wen?«
»Ich könnte zum Potrero-Hill-Center
gehen und in den Unterlagen nachsehen.«
»Würden Sie das für mich tun? Es ist
wichtig.«
»Dann tue ich es. Bis heute abend weiß
ich es.«
Ich sah ihr zu, wie sie die nächste
Zigarette anzündete und das Streichholz löschte. Dann fragte ich sie: »Wieso
waren Sie nicht bei der Verhandlung?«
»Ich war heute morgen wütend auf Sie,
weil Sie der Polizei von meinem Kontakt zu Rick Chavez erzählt haben. Und
danach war ich zu niedergeschlagen.« Sie zeigte auf ihr Cocktailglas. »Ich
weiß, das da ist ein armseliger Problemloser. Ich warne stets alle davor, mit
denen ich zu tun habe. Aber wie die meisten Menschen richte ich mich selten
nach meinen eigenen Ratschlägen.«
»Vielleicht wollen Sie aber heute abend
mit nach Seacliff hinauskommen.« Ich berichtete ihr von dem geplanten
Lokaltermin.
Zu meiner Überraschung verlor sie die
Nerven: Sie preßte die Lippen zusammen
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