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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ausgepowert zu fühlen — an den guten
bekannten wir uns weiterhin zu den flüchtigen Idealen. Für viele von uns war
All Souls tatsächlich etwas wie eine erweiterte Familie und ein Heim. Ich
konnte mir ein Leben ohne das gar nicht mehr vorstellen.
    In meinem Büro vorne im ersten Stock
angekommen, ließ ich Tasche und Jacke auf das Sofa fallen und schob die
Notizzettel unter einen Briefbeschwerer. Dann setzte ich mich an meinen
Schreibtisch in der Fensternische und kritzelte mein Kürzel auf ein paar
Briefe, die in meiner Eingangspost lagen. Neben meiner Kladde lag ein dicker,
mir unbekannter Aktenordner. Ich zog ihn heran: Der Staat Kalifornien gegen
Lisbeth Ingrid Benedict.
    »Jack«, flüsterte ich, »laß mich in
Ruhe.«
    Ich schob den Ordner weg und lehnte
mich im Sessel zurück. Mein Blick blieb an der apricotfarbenen Rose in der
kleinen Vase an der Ecke des Schreibtischs hängen. Sie war am Dienstagmorgen
angekommen, wie immer — ein Geschenk meines Freundes Harry Ripinsky, der auf
einer kleinen Schafranch in der Hochwüste östlich des Yosemite-Parks nahe der
Grenze zu Nevada lebte. Letzten Herbst, als er mir die erste wöchentliche Rose
schickte, war sie gelb gewesen — meine Lieblingsfarbe. Doch als wir vor zwei
Monaten ein Liebespaar wurden, war gelb seiner Meinung nach nicht mehr
leidenschaftlich genug, und seitdem kamen die apricotfarbenen. Diese hier war
in der ungewöhnlichen Hitze, die im Augenblick herrschte, schon welk geworden.
Aber ich ließ sie in der Vase stehen, bis eine neue kam — meine Art, Hy nahe zu
sein, auch wenn wir getrennt waren.
    Ein wenig unsicher, als könnte mich
jemand beobachten, griff ich nach dem untersten Ablagekorb, wo ich unter einem
Stapel leerer Spesenformulare eine Akte mit dem Etikett »Ripinsky, Heino«
aufbewahrte. Angelegt hatte ich sie im vergangenen November, als mir eine
Bekannte bei der Polizei von San Francisco Berichte über ihn vom National Crime
Information Center und vom California Criminal Justice Information System
besorgt hatte. Sie enthielten nichts Belastendes oder auch nur Interessantes —
bis auf eine lange zurückliegende Verhaftung wegen Umreißens einer
Straßenlaterne in Bridgeport, der Hauptstadt von Mono County, und eine Reihe
späterer Festnahmen bei Umweltdemonstrationen. Ich brauchte die Berichte nicht
mehr: Meine Ermittlungen unten am Tufa Lake waren abgeschlossen, und eigentlich
hätte ich sie wegwerfen sollen. Statt dessen hatte ich die Akte angelegt und
kannte die aufgeführten trockenen Fakten inzwischen auswendig.
    Ich zog die Hand vom Korb zurück. Keine
nochmalige Prüfung der Dokumente und meiner zusätzlichen Notizen würde mir
verraten, was ich wissen wollte. Es bestand nicht die geringste
Wahrscheinlichkeit, daß in den Berichten ein bisher unbemerkter Hinweis auf
jene ausgeklammerten neun Jahre in seinem Leben enthalten war.
    Wo Hy in dieser Zeit gewesen war und
was er gemacht hatte, wußte niemand, und er weigerte sich auch, darüber ein
Wort mit mir zu reden. In Vernon, der kleinen Stadt am Rand des Tufa Lake, wo
er aufgewachsen war, schwirrten viele Gerüchte über ihn. Einige Leute
behaupteten, er sei bei der CIA gewesen. Andere meinten, er müsse Drogen
geschmuggelt haben, weil er seit seiner Rückkehr nie unter Geldmangel gelitten
habe. Es gab die ganze Skala von Theorien von den denkbaren (daß er im
Gefängnis gesessen habe) über die unwahrscheinlichen (daß er als Söldner
gekämpft habe) bis zu den absurden (daß er von einer reichen alten Dame
ausgehalten worden sei, die ihm nach ihrem Tod ihren ganzen Besitz hinterlassen
habe). Ich mochte nicht einmal die realistischsten von allen glauben, weil
keine davon zu dem Mann paßte, den ich lieben gelernt hatte.
    Als wir uns näherkamen, hatte ich
geglaubt, er würde mir von diesen Jahren erzählen oder mir zumindest erklären,
warum sie tabu waren. Doch jedesmal, wenn die Rede darauf kam, verschloß er
sich so unerbittlich, daß ich wußte: ihn zu drängen, würde das Ende unserer
Beziehung bedeuten. Und so stellte ich mir nur selbst diese Fragen und hockte
immer wieder brütend über seiner Akte.
    Oft dachte ich, für eine Ermittlerin
mit meinen Erfahrungen und meinen Kontakten müßte es ein Leichtes sein, Hys
Geheimnis zu lüften. Selbst den verschwiegensten Menschen entschlüpft einmal
ein Hinweis, selbst die achtsamsten hinterlassen Spuren aus ihrer Vergangenheit.
Doch bis auf eine Nachfrage bei CIA und FBI, die eine frühere Beschäftigung Hys
»weder

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