Letzte Instanz
bestätigen noch dementieren« mochten, war es mir gelungen, mich
zurückzuhalten. Bisher jedenfalls...
Allein schon das Anlegen einer Akte
über ihn mußte ihn verletzen. Beim Anblick des ordentlich mit Maschine
beschrifteten Aktendeckels erfaßte mich jedesmal Scham, und jedesmal kämpfte
ich mit Schuldgefühlen, wenn ich den Ordner aufschlug. Auch mußte ich meine
eigenen Motive erforschen: Wollte ich über diese Jahre Bescheid wissen, weil
dieses Wissen mich Hy näherbringen konnte, oder war ich bloß neugierig?
Verwirrte sein Schweigen mich, weil es eine Barriere zwischen uns aufbaute oder
weil es nur meinen Stolz verletzte?
Wieder fuhr meine Hand nach unten zum
Korb. Ich sollte die Akte vernichten und das Ganze vergessen. Würde ich sie
jetzt gleich zerreißen und in den Papierkorb werfen, wäre sie am Montag mit der
Müllabfuhr verschwunden und ich käme nicht einmal mehr in Versuchung, die
Schnipsel wieder herauszufischen.
Aber ich brachte es nicht über mich — noch
nicht.
3
Als ich mich auf den Weg nach unten in
die Küche machte, war es Zeit für die freitägliche Happy Hour. Ted verteilte
schon Chips und Salsa. Auch Rae war eingetroffen und überraschenderweise auch
der Anstreicher und der Mann, der die Oberlichter einbaute — allerdings ohne
seine Brechstange. Larry Koslowski, unser im Haus lebender Gesundheitsapostel,
mixte einen gotterbärmlichen Cocktail aus Fruchtsäften und mysteriösen
Pülverchen zurecht und stritt mit Pam Ogata über die Vorteile des Hot Dog aus
Tofu. Ein paar Sekretärinnen aus dem anderen Gebäude kamen herein, gefolgt vom
Deutschen Schäferhund unseres Nachbarn. Der Schäferhund legte sich auf der
Fußmatte vor dem Waschbecken nieder und beobachtete uns mit seinen sanften,
intelligenten Augen. Sicher fand er das, was hier passierte, bizarr und
sinnlos. Als ich mir ein Glas Wein besorgte, blieb ich neben ihm stehen,
kraulte ihn und sagte: »Manchmal bin ich durchaus deiner Meinung, alter Junge.«
Er sah zu mir auf, um herauszufinden, ob ich etwas zu fressen für ihn hatte,
und dann ignorierte er mich.
Jack Stuart hatte sich an den runden
Eichentisch am Fenster gesetzt. Nach Meinung der Frauen ist Jack in puncto
Männlichkeit die Nummer eins in unserer Kooperative, und ich muß zugeben, daß
seine schlanke Gestalt, drahtig durch häufige Kletterpartien, zusammen mit
seinem zerfurchten Gesicht, das mit dem Alter immer anziehender wird, und dem
dichten silbernen Haarschopf schon eine attraktive Erscheinung bildeten. Vor einer
Weile hatte ich mal Chancen bei ihm, als er sich richtig komisch in mich
verknallte — als Reaktion auf eine vorausgegangene Scheidung —, und es gibt
immer noch Momente, da bedaure ich, seine Avancen gar so vernünftig übersehen
zu haben.
Ich trat zum Tisch und nahm den Stuhl
neben ihm. Ich war mir bewußt, daß ich die Situation um den Fall Benedict
klären mußte. Jacks Gesicht hellte sich auf, als er mich sah. »Nun?«
»Ich habe die Akte entdeckt, die du mir
auf den Schreibtisch gelegt hast.«
»Du hast sie schon gelesen?«
»Mein Gott, ich bin erst seit einer
halben Stunde zurück. Warum hast du mir nicht gesagt, daß das ein Fall für das
Historische Tribunal ist?«
»Dann wärst du nicht zu ihr gegangen.«
»Und du hast dir das passenderweise
genau für die Zeit von Hanks Urlaub ausgesucht, damit er mir nicht aufs
Butterbrot schmieren kann, ich vergeude meine Zeit.«
»Ich bekenne mich abermals schuldig.
Werde ich jetzt wegen übler Trickserei standrechtlich erschossen?« Er sagte es
leichthin, aber zugleich zeigten seine zusammengezogenen Augenbrauen
Verwirrung. Ich wußte, daß ihm jetzt eine Nacht im vergangenen Sommer durch den
Kopf ging, in der er eine kalte und mörderische Seite an mir kennengelernt
hatte, von der nur wenige etwas wußten. Jene Nacht hatte die engen Beziehungen
zu meinen Freunden in der Kooperative auf eine harte Probe gestellt, und das
wurde auch jetzt noch immer spürbar, sobald die Erinnerung daran aufkam.
»He«, sagte ich. »Ist schon in
Ordnung.«
»War gedankenlos von mir.«
»Sieh mal, Jack, du kannst nicht immer
auf Zehenspitzen um das Thema herumschleichen. Ich habe die Sache hinter mich
gebracht, und das solltest du auch tun.«
Er nickte. »Also, sag — was denkst du
über Lis?«
»In erster Linie, daß ich sie nicht
mag. Sie hat einen mächtig dicken Schutzwall um sich errichtet, und das macht
sie schroff und abweisend. Natürlich weiß ich, daß einer Frau in ihrer
Situation
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