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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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passte zu der Trübsal unter den Holzfällern am Tisch. Sie hatten den verschwundenen Jungen ins Herz geschlossen und ihn aufgenommen, wie man ein entlaufenes Haustier aufnehmen würde. Auch der Koch hatte ihn ins Herz geschlossen. Vielleicht sah er in dem ungewöhnlich fröhlichen Teenager eine ältere Version seines zwölfjährigen Sohnes - denn mit seinem offenen und neugierigen Blick war Angel so ganz anders als seine verschlossenen und mürrischen Altersgenossen im rauhen und kargen Twisted River.
    Das alles war umso bemerkenswerter, als Angel ihnen erzählt hatte, er sei erst kürzlich von zu Hause weggelaufen.
    »Du bist doch Italiener, oder?«, hatte Dominic Baciagalupo ihn gefragt.
    »Ich bin nicht aus Italien, ich spreche kein Italienisch - wenn man aus Toronto kommt, ist man nicht sehr italienisch«, hatte Angel geantwortet.
    Der Koch hatte geschwiegen. Dominic kannte sich ein wenig mit den Italoamerikanern in Boston aus, von denen einige Probleme damit hatten, wie sehr oder wie wenig italienisch sie waren. Angel wäre in der alten Heimat vermutlich ein Angelo gewesen, dachte der Koch. (Als Dominic klein war, hatte seine Mutter ihn mit sizilianischem Zungenschlag Angelù genannt.)
    Doch nach dem Unfall fand sich sein Name, Angel Pope, nirgendwo auf seinen Sachen, auf keinem Brief, in keinem Buch. Falls er überhaupt einen Ausweis gehabt hatte, war der mit Angel im Fluss verschwunden - vermutlich in der Tasche seiner Latzhose -, und wenn Angels Leiche verschollen blieb, konnte seine Familie oder vor wem auch immer der Junge weggelaufen war, nicht benachrichtigt werden.
    Ob legal oder nicht, ob mit oder ohne ordnungsgemäßen Papieren, Angel Pope war über die kanadische Grenze nach New Hampshire gekommen, wenn auch nicht, wie die meisten, aus der Provinz Quebec. Er hatte Wert darauf gelegt, aus Ontario und kein Frankokanadier zu sein. Der Koch hatte ihn nie auch nur ein Wort Französisch (oder Italienisch) sprechen hören, und die Frankokanadier im Camp hatten mit dem jungen Ausreißer nichts zu tun haben wollen - offenbar mochten sie keine englischsprachigen Kanadier. Angel wiederum hielt zu den Frankokanadiern Distanz; offenbar mochte er die Quebecois genauso wenig wie sie ihn.
    Dominic war immer diskret gewesen; jetzt wünschte er, er wüsste mehr über Angel Pope und dessen Herkunft. Angel war Daniel (oder Danny, wie die Holzfäller und Sägewerksarbeiter den Sohn des Kochs nannten) ein gutmütiger und verlässlicher Kumpel gewesen.
    In Twisted River kannte fast jeder Mann im arbeitsfähigen Alter den Koch und seinen Sohn - einige Frauen ebenfalls. Dominic hatte eine ganze Menge Frauen kennenlernen müssen - vor allem, damit sie auf seinen Sohn aufpassten -, denn der Koch hatte vor zehn langen Jahren seine Frau, Dannys Mutter, verloren.
    Dominic Baciagalupo spürte, dass Angel Pope Küchenarbeit gewohnt war; der Junge hatte sie ungelenk, aber ohne Murren und mit sparsamen Handgriffen (wie sie nur durch lange Übung entstehen) erledigt, obwohl ihn die Arbeit in der Küche angeblich langweilte und er sich beim Schneiden öfter verletzte.
    Außerdem las der junge Kanadier gern; er lieh sich viele Bücher, die Dominics verstorbener Frau gehört hatten, und oft las er Daniel daraus vor. Angel las dem kleinen Dan zum Beispiel Robert Louis Stevenson vor - nach Ketchums Meinung »im Übermaß« -, und zwar nicht nur
Entführt
und
Die Schatzinsel,
sondern auch Stevensons unvollendeten Roman
Flucht ins Abenteuer,
der, laut Ketchum, am besten mit dem Autor gestorben wäre. Als der Unfall auf dem Fluss geschah, waren Angel und Danny gerade mitten in der Lektüre von
Der Ausschlachter
gewesen. (Zu diesem Roman hatte sich Ketchum noch nicht geäußert.)
    Doch egal, woher Angel Pope kam, er hatte zweifellos eine gewisse Schulbildung genossen - und zwar mehr als die meisten frankokanadischen Holzarbeiter, die der Koch kennengelernt hatte. (Mehr auch als die meisten Sägewerker und einheimischen Holzarbeiter.)
    »Warum musste Angel sterben?«, fragte Danny, während er seinem Vater half, die Esstische abzuwischen. Die Holzarbeiter waren inzwischen gegangen, ins Bett oder auf einen Schlummertrunk. Und auch die indianische Tellerwäscherin war nach getaner Arbeit mit ihrem Pick-up zurück in den Ort gefahren - normalerweise lag Danny meist schon im Bett, wenn sie ging.
    »Angel musste nicht sterben, Daniel - es war ein
vermeidbarer
Unfall.« Im Wortschatz des Kochs kamen
»vermeidbare
Unfälle« sehr oft vor, und sein

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