Letzte Runde in Mac's Place
Meinetwegen eine falsche Spur. Oder vielleicht hatte Steady sich entschlossen, doch nicht halbe-halbe mit Isabelle zu machen. Vergiß nicht, Steady hatte nicht erwartet, daß er stirbt. Und das Manuskript, falls es eins gibt - oder falls nicht -, sollte seine Rente sein. Und möglicherweise ist er zu dem Schluß gekommen, daß es gerade genug für einen, aber nicht genug für zwei bringt. Also hat er das echte Manuskript versteckt, wo niemand nachschauen würde, und dann die offensichtlichen Verstecke mit Fälschungen gespickt.«
»Vielleicht sollten wir gar nicht nach einem Manuskript suchen«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir nach einem Gepäckschein hinter der Sonnenblende suchen. Oder einem Mikrofilm im Handschuhfach. Oder vielleicht ...«
»Ziehst du nun den Mantel an oder nicht?«
Sie schaute auf den Mantel, den sie noch immer in der Hand hielt, schlüpfte rasch hinein und sagte: »Gehen wir!«
Haynes ging als erster durch die Tür, blieb stehen, starrte nach draußen und sagte: »Verdammter Mist!«
Die Außenbeleuchtung über der Tür schien direkt auf den platten Vorderreifen des Cadillac. Es war der linke. Erika folgte seinem Blick und sagte: »Kein Problem.«
»Falls ein Reserverad da ist.«
Sie liefen zum Heck des Wagens, und Haynes öffnete den Kofferraum. Das Reserverad war da. Außerdem fand er den Wagenheber und den Radmutternschlüssel. Er gab Erika den Schlüssel und sagte: »Fang schon mal mit den Radmuttern an, während ich das Reserverad raushole.«
Sie nickte und ging zum linken Vorderrad. Haynes sah zu, wie sie sich hinkniete, das flache Ende des Schlüssels benutzte, um die Radkappe mit einem geschickten Griff abzuhebeln, und begann, die Radmuttern zu lösen.
Haynes drehte die große Flügelmutter ab, die das Reserverad verankerte. Im dünnen Schein der Kofferraumlampe sah er, daß das Profil des Reservereifens offenbar noch nie den Boden berührt hatte. Als er das schwere Rad aus seiner Halterung gehievt hatte und es auf der Kofferraumkante im Gleichgewicht hielt, verharrte er mitten in der Bewegung und starrte in die Radmulde und auf den prallen, leicht gebogenen Firmenumschlag, auf dem das nie benutzte Reserverad gelegen hatte.
Als Erika McCorkle mit zwei Big Macs, zwei großen Portionen Pommes frites und zwei großen Kaffee von ihrem Vorstoß zu McDonald's zurückkam, saß Haynes noch immer auf der Bettkante, war noch immer mit seinem Mantel bekleidet und starrte noch immer auf den verschlossenen braunen Umschlag, der auf dem anderen Bett lag. Der 38er Chiefs Special in seiner rechten Hand zielte auf nichts im besonderen.
»Ich dachte, du hättest inzwischen schon mit Kapitel drei angefangen«, sagte sie und setzte ihre Einkäufe auf dem Schreibtisch ab.
»Ich habe ihn nicht aufgemacht.«
»Warum nicht?«
»Ich wollte einen Zeugen.«
»Jetzt hast du einen, und was machen wir zuerst: essen oder den Umschlag aufmachen?«
»Wir machen ihn auf«, sagte er, schob den Revolver wieder in die Manteltasche und griff nach dem Umschlag. Nachdem er ihn mitsamt Inhalt auf der Handfläche gewogen hatte, sagte Haynes: »Etwa dreihundertundfünfundsiebzig Seiten.«
»Woher weißt du das?«
»Weil er ungefähr dreimal soviel wiegt wie das Drehbuch für einen Spielfilm, und die haben normalerweise zwischen einhundertundzwanzig und einhundertunddreißig Seiten.«
»Herrgott, mach ihn auf!«
Haynes schlitzte die Umschlagklappe mit dem Zeigefinger auf. Er zog ein sechs Zentimeter dickes Manuskript heraus, blätterte es rasch durch und blickte zu Erika hoch. »Keine leeren Seiten«, sagte er.
»Habe ich bemerkt.«
Er blätterte zur letzten Seite. »Dreihundertvierundsiebzig.«
»Du warst nah dran.«
»Allerdings.«
»Wie willst du vorgehen?«
»Wobei?«
»Essen wir erst, lesen wir erst - oder beides gleichzeitig?«
»Essen wir zuerst«, sagte er. »Dann fange ich an zu lesen und gebe dir Seite für Seite, wenn ich fertig bin.«
»Liest du schnell?«
»Sehr schnell.«
»Gut«, sagte sie. »Ich auch.«
E INUNDVIERZIG
Um 20.32 Uhr an jenem Montag, als Granville Haynes und Erika McCorkle gerade auf Seite 102 von Zum Söldner berufen, verfaßt von dem verstorbenen Steadfast Haynes, angelangten, wurde eine Prozession unsichtbarer Würdenträger von Herrn Horst durch das Zwielicht von Mac's Place geführt.
Als die würdevolle, wenn auch eingebildete Prozession zum Stehen kam, bedachte Herr Horst die beiden neu eingetroffenen Gäste mit seinem Peitschennicken und sagte: »Mr.
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