Letzte Worte
hinter ihr.
Sara starrte in den Keller hinunter. Der Schaukelstuhl ihrer Mutter und eine Leselampe standen in einer Ecke neben einem kleinen Fenster. Das Bügelbrett war aufgestellt und einsatzbereit. Plastikbehälter an der hinteren Wand enthielten all die Erinnerungsstücke aus Saras und Tessas Kindheit, zumindest diejenigen, die ihre Mutter für bewahrenswert erachtet hatte. Jahrbücher, Schulfotos, Zeugnisse und Aufsätze füllten zwei Schachteln pro Mädchen. Irgendwann würde Tessas Baby eine eigene Schachtel bekommen. Sie würde Babyschuhe aufbewahren und Broschüren von Schulaufführungen und Klavierabenden. Oder Fußballtrophäen, falls es nach Tess ging.
Sara konnte keine Kinder bekommen. Eine Bauchhöhlenschwangerschaft während des Studiums hatte ihr diese Fähigkeit genommen. Sie hatte zusammen mit Jeffrey versucht, ein Kind zu adoptieren, aber dieser Traum war an dem Tag geplatzt, als er starb. Er hatte irgendwo einen Sohn, einen brillanten, starken jungen Mann, der nie erfahren hatte, dass Jeffrey sein leiblicher Vater war. Jeffrey war für ihn nur ein Onkel ehrenhalber, Sara eine Tante ehrenhalber. Sie hatte oft überlegt, ob sie sich mehr um den Jungen kümmern sollte, aber die Entscheidung lag nicht bei ihr. Er hatte eine Mutter undeinen Vater, die sich große Mühe mit ihm gegeben hatten. Das zu zerstören und ihm zu sagen, dass er einen Vater hatte, mit dem er nie mehr würde sprechen können, kam ihr grausam vor.
Außer was Lena anging, hatte Sara eine starke Abneigung, anderen gegenüber grausam zu sein.
Der Trockner meldete sich. Die Handtücher waren trocken genug, wenn man bedachte, dass sie damit durch den strömenden Regen gehen musste. Sie zog ihre Jacke an und verließ das Haus so leise, wie sie konnte. Draußen war der Regen wieder zu einem Nieseln geworden. Sie schaute zum nächtlichen Himmel hoch. Trotz der dunklen Wolken konnte sie die Sterne sehen. Sie hatte vergessen, wie es war, weit weg zu sein von den Lichtern der Stadt. Die Nacht war pechschwarz. Keine Sirenen oder Schreie oder willkürliche Schüsse durchbrachen die Stille. Nur die Zikaden und hin und wieder das Heulen eines einsamen Hundes waren zu hören.
Sara stand vor Wills Tür und fragte sich, ob sie klopfen sollte. Es war schon spät. Vielleicht hatte er sich bereits schlafen gelegt.
Er öffnete die Tür in dem Augenblick, als sie sich umdrehte. Will starrte sie keinesfalls an, wie Tessa behauptet hatte. Er wirkte viel eher irritiert.
» Handtücher « , sagte sie. » Ich lasse sie Ihnen einfach da. «
» Danke. «
Sara hob die Hand an die Stirn, damit ihr der Regen nicht in die Augen tropfte. Sie merkte, dass sie Wills Mund, die Narbe über seiner Oberlippe, anstarrte.
» Bitte kommen Sie herein. « Er machte einen Schritt zurück, damit sie durch die Tür treten konnte.
Sara spürte plötzlich eine unerklärliche Zögerlichkeit. Trotzdem trat sie ein. » Es tut mir wirklich sehr leid wegen meiner Mutter. «
» Sie sollte in der Polizeiakademie Verhörtechniken unterrichten. «
» Ich kann mich nicht genug entschuldigen. «
Er gab ihr eines der sauberen Handtücher, damit sie sich das Gesicht trocknen konnte. » Sie liebt Sie sehr. «
Diese Reaktion hatte Sara nicht erwartet. Sie nahm an, dass ein Mann, der seine Mutter schon so früh verloren hatte, Cathys Zudringlichkeit aus einem anderen Blickwinkel betrachtete.
» Haben Sie je… « Sara unterbrach sich. » Egal. Ich sollte Sie jetzt ins Bett gehen lassen. «
» Je was ? «
» Ich meine… « Sara merkte, dass sie wieder errötete. » Waren Sie bei Pflegefamilien? Oder… «
Er nickte. » Manchmal. «
» Bei guten? «
Er zuckte die Achseln. » Manchmal. «
Sara dachte an die Quetschung auf seinem Bauch– womöglich waren es auch keine Quetschung, sondern etwas sehr viel Schlimmeres. Sie hatte in ihrer Zeit in der Leichenhalle genügend elektrische Verbrennungen gesehen. Sie hinterließen sehr charakteristische Spuren wie Schmauchspuren, die unter die Haut drangen und nicht abgewaschen werden konnten. Das dunkle Brandmal auf Wills Körper war mit der Zeit verblasst. Er war wahrscheinlich noch ein Kind gewesen, als es passierte.
» Dr. Linton? «
Sie schüttelte den Kopf, wie um sich zu entschuldigen. Instinktiv berührte sie ihn am Arm. » Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen? Ich glaube, im Wandschrank sind noch zusätzliche Decken. «
» Ich habe ein paar Fragen an Sie. Falls Sie noch ein paar Minuten hätten? «
Sie hatte vergessen,
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