Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
züchtige V des Ausschnitts der Kostümjacke der Frau Doktor stierte, in dem ein kleines Stück der Falte zu sehen war, die ihre Brüste voneinander trennte. Nicht aus Lüsternheit, auch nicht aus einfacher Freude an sichtbarer Schönheit hatte sich Gasperlmaier blickmäßig in die sichtbaren Brustansätze verbissen, das Problem war, dass er den Blickkontakt zu diesen klaren, alles wissenden, alles aus einem herausbohrenden Augen scheute. Er war sich völlig sicher, dass die Frau Doktor in seinen Augen wie in einem Buch lesen würde können, sobald er den Blick hob.
Der Frau Doktor Kohlross war nicht entgangen, welchen Einzelheiten Gasperlmaier seine Aufmerksamkeit widmete. „Hier heroben spielt die Musik!“ Mit diesen Worten schob sie ihren rechten Zeigefinger unter Gasperlmaiers Kinn, um es so weit anzuheben, dass er ihrem Blick standzuhalten nun gezwungen war.
„Wie heißen S’ denn eigentlich?“ Offenbar hatte sie die erste Nennung seines Namens, die zu spät gekommen und ins Leere gerufen worden war, tatsächlich nicht mitbekommen. „Gasperlmaier!“, brachte der Angesprochene hervor, so als ob es sein erstes Wort nach dem Aufwachen im Gefolge einer durchzechten Nacht gewesen wäre: heiser und mehr gekrächzt als gesprochen. Die Frau Doktor ging darüber hinweg und forderte Gasperlmaier neuerlich auf, ihr genau darzulegen, wie der Fund der Leiche des Herrn Doktor Naglreiter vor sich gegangen war.
Gasperlmaier gab, mit Händen und Armen rudernd, sich immer wieder räuspernd, seine eben zusammengereimte Lügengeschichte zum Besten. Sehr kompliziert war sie nicht: Er habe, wie immer, wenn er Streifendienst habe, das Bierzelt wie auch das Gelände darum herum kontrolliert, schließlich einen gewissen Drang verspürt und im Pissoir anstatt der erwünschten Erleichterung den Doktor Naglreiter gefunden. Dass er ihn nicht erkannt habe, sondern ihm der Kahlß Friedrich verraten habe, wer der Tote sei, beeilte er sich hinzuzufügen.
Ob er die Leiche berührt habe, wollte die Frau Doktor wissen. Scharf an ihrem rechten Ohr vorbeiblickend, hinter das sie gerade eine Haarsträhne geschoben hatte, log Gasperlmaier weiter, nein, keineswegs, er wisse, wie man sich in Angelegenheiten eines Leichenfunds zu verhalten habe. Gasperlmaier wurde der Kragen zu eng, aber er hütete sich davor, etwa einen Knopf zu öffnen oder mit den Fingern darunterzufahren, um sich mehr Atemluft zu verschaffen, hatte er doch zahllose Male in Kriminalfilmen der eher einfacheren Art gesehen, wie man auf diese Weise jemanden darstellte, dem beim Lügen das schlechte Gewissen hoch aufragend und kastenbreit im Weg steht.
Die Frau Doktor sah ihn auf eine Art und Weise an, die Gasperlmaier sagte, dass sie wusste, dass er ganz unverschämt log. Immer wieder ihren durchdringenden Blicken ausweichend, dabei tunlichst ihren Ausschnitt vermeidend, war Gasperlmaier nur noch Sekunden von einem Geständnis entfernt, als plötzlich ein lautes „Da ist was!“ die Aufmerksamkeit der Frau Doktor auf sich zog. Noch im Aufstehen warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, der Gasperlmaier sagte: Mit dir bin ich noch lang nicht fertig, ich krieg dich schon noch.
Einer der Spurensicherer deutete auf einen kaum wahrnehmbaren Fleck unter dem Tisch, dem die von Gasperlmaier ins Gebüsch verbrachte Bank fehlte. Frau Doktor Kohlross kniete sich neben dem Spurensicherer hin, um den Fleck näher in Augenschein zu nehmen. Der deutete mit den Fingern auf verschiedene Stellen im Dreck unter dem Tisch. „Das ist Blut!“, meinte er. Doktor Kohlross schwieg und zog die Schultern hoch. „Kann man so nicht erkennen. Kratzt es zusammen, und ins Labor damit!“
„Übrigens, hier ist eine Bank verschwunden. Da sieht man ganz genau die Abdrücke von den Beinen, hier und hier. Außerdem ist das der einzige Tisch mit nur einer Bank. Wo ist die?“ Der Scharfsinn der Frau Doktor Kohlross wurde sogleich von einem Ruf, der von außerhalb des Bierzelts kam, unter Beweis gestellt: „Wir haben da eine Bank gefunden!“
Während der Spurensicherer unter dem Tisch kauernd mit einer Spachtel Dreck zusammenkratzte und in ein bereitgehaltenes Plastiksäckchen füllte, mit einer Präzision und Umsicht, als handle es sich um wertvolle Überbleibsel einer versunkenen Kultur, verließ Frau Doktor Kohlross stöckelnd das Dämmerlicht des Bierzelts, Gasperlmaier aber blieb noch ein wenig sitzen, denn er war sich nicht gänzlich sicher, ob ihn seine Beine ob der ganzen Aufregung überhaupt
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