Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
in die Angelegenheit bringen konnten.
Das Naglreiter’sche Anwesen, in dessen Vorgarten auf einem hübsch gekiesten Weg sich Gasperlmaier und die Frau Doktor jetzt befanden, war ein mit äußerster Präzision nachgebautes neues Altausseer Haus, bei dem sogar dafür Sorge getragen worden war, dass sich die sägefrischen Lärchenbretter an der Verkleidung der Veranda nicht im hellen Goldbraun eben gefällten Holzes, sondern bereits im edlen Grausilber der Verwitterung präsentierten. Am Ende, so dachte Gasperlmaier, hatte sich der Herr Doktor Naglreiter sogar Altholz kommen lassen, damit der Eindruck eines bereits angejahrten, ehrwürdigen Hauses auch gelänge. Wie ihre Schritte auf dem Weg knirschten, sah Gasperlmaier sich um, und er nahm einen umsichtig und fachmännisch gepflegten, an blühenden oder in verschiedenen Grüntönen vor sich hin sprießenden Pflanzen so reichen Garten wahr, dass er sich sicher war, dass die Frau des Doktor Naglreiter, oder gar er selbst oder seine Kinder, keinen Handgriff darin taten. Wer sich um diesen Garten kümmerte, dachte Gasperlmaier, brauchte sonst keine Beschäftigung mehr.
„Wo waren eigentlich Sie gestern Abend?“, fragte die Frau Doktor Kohlross, während sie auf den Klingelknopf drückte, neben dem in fein geschwungener Schrift „Dr. Naglreiter“ stand. Gerade hatte sich Gasperlmaier dafür gewappnet, einer Witwe, die von ihrer Witwenschaft noch nichts wusste, ebendiesen Sachverhalt darzulegen, er hatte sich auf Weinkrämpfe eingestellt, auf Heulen und Zähneknirschen, und mit einer ebenso banalen wie deplatzierten Frage hatte ihn nun die Frau Doktor Kohlross um seine ganze Konzentration gebracht. Er hoffte, dass nach einem kurzen Bartkratzen und einem ein wenig hinausgezogenen „Äh …“ ohnehin die Tür geöffnet werden würde, sodass er seine Erklärungen würde hinausschieben können, doch im Haus blieb alles still.
„Ja, ich war natürlich auch im Bierzelt, ich bin ja bei der Feuerwehr, was glauben Sie denn?“, entrang sich schließlich Gasperlmaiers Brust der längste Satz, den er der Frau Doktor gegenüber bisher zustande gebracht hatte. Sie zog nur die Augenbrauen hoch und die Andeutung eines Lächelns streifte wie ein zarter Windhauch ihr Gesicht. Gasperlmaier verstand die damit verbundene Aufforderung auch ohne ein weiteres Wort. „Nein, den Doktor Naglreiter habe ich nicht gesehen, weil ich ihn ja zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gekannt habe, da hätte ich gar nicht gewusst, dass ich ihn sehe, wenn ich ihn gesehen hätte“, erläuterte Gasperlmaier ebenso logisch wie umständlich.
Im Haus blieb es nach wie vor still. Frau Doktor Kohlross drückte ihren sorgsam manikürten, lila lackierten Fingernagel neuerlich auf den Klingelknopf. „Wann sind Sie denn nach Hause gegangen?“, bohrte sie weiter.
„Frau Doktor“, bemühte sich Gasperlmaier, ihr Altausseer Verhältnisse näherzubringen, „ich hab heute um fünf Uhr auf müssen, weil ich ja den frühen Dienst gehabt habe. Und wenn schon einmal Kirtag ist, dann gehe ich auch nicht um zehn nach Hause, auch wenn ich früh aufstehen muss.“
Verzweifelt stierte Gasperlmaier durch eine der vier kleinen Glasscheiben, die in die Haustür eingelassen waren, konnte aber nichts erkennen, weil es sich um die mehr undurchsichtige Art von Glas handelte, die man auch in Badezimmern findet und durch die man höchstens erkennen kann, ob dahinter Licht brannte oder nicht. Wieder hob die Frau Doktor fragend die Augenbrauen, Gasperlmaier kam sich vor wie ein Fisch, der sich am Haken wand, die Frau Doktor hatte eine Art, einem die Privatsphäre nur mit einem Zucken der Augenbrauen herauszureißen, dass einem angst und bange werden konnte. „Um zwei bin ich nach Hause“, seufzte er schließlich.
Stille im Haus, die Frau Doktor drückte nachhaltig und ausdauernd auf den Klingelknopf. Fast hatte Gasperlmaier das Gefühl, dass auch die Klingel lauter, durchdringender und gequälter aufschrie, bloß weil die Frau Doktor wieder einmal die Augenbrauen gehoben hatte.
„Was haben S’ denn getrunken?“ Gasperlmaier betete darum, dass endlich, endlich jemand in diesem Haus aufwachen möge. „Schaun S’, Frau Doktor, wenn man den ganzen Tag …“ – „… und die ganze Nacht …“, ergänzte Frau Doktor Kohlross ungefragt – „… also, wenn man da dabei ist und jeden kennt, und man hat auch was zu tun dabei, dann trinkt man schon so seine Bier.“ Fest entschlossen, keinerlei private Auskünfte mehr zu
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