Letzter Mann im Turm - Roman
hart arbeitende Zuwanderer zu verprügeln.»
«Ich weiß nicht, was ein Faschist macht, aber ich weiß, was ein Kommunist macht. Sie mögen keine Bauherren, weil sie einige Leute reich machen, aber die Bettler, die jeden Tag am Victoria Terminus aussteigen, die mögen Sie.»
«Ich bin Christin, Mrs Puri. Es ist unsere Aufgabe, uns um die Armen zu kümmern.»
Mrs Puri war im Begriff, ihrer Kontrahentin mit einer schlagfertigen Antwort den Todesstoß zu versetzen, als Ramu kam und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
«Es fließt kein Wasser in den Leitungsrohren, Ramu», sagte sie. «Heute Abend gibt’s kein Wasser. Das hatte ich dir doch schon gesagt.»
Ramus Unterlippe stülpte sich über die Oberlippe und wölbte sich bis zur Nase, und seine Mutter wusste, dies war ein Zeichen, dass er nachdachte. Ramu deutete auf die Rohre, die seitlich an den Mauern der Vishram Society nach oben führten.
«Sei still, Ramu. Mummy spricht mit dem Kommunisten-Tantchen.»
«Ich bin keine Kommunistin, und ich bin niemandes Tante, Mrs Puri.»
Mrs Kothari, die Frau des Verwalters, streckte ihren Kopf aus dem Fenster und brüllte: «Wasser!»
Es war ein außerplanmäßiger Segen der Stadtverwaltung, eine seltene Güte. Der Kampf wurde vertagt; beide Frauen gehorchten einer höheren Notwendigkeit – fließend Wasser.
Wo war Masterji?, fragte sich Mrs Puri, während sie die Treppe hinaufstieg. Er sollte mittlerweile vom Ausflug mit seinem Enkel zurück sein. Nachdem sie Ramu wie jeden Abend gebadet hatte, achtete sie darauf, einen Eimer Wasser für den alten Mann zufüllen, falls die Stadtverwaltung sie dafür bestrafen sollte, dass sie ihnen hatte Wasser zukommen lassen, das ihnen nicht zustand, und ihnen die morgendliche Wasserzufuhr strich. Denn so dachten die Leute, die Mumbai regierten, tatsächlich.
Obwohl er den Gedanken verworfen hatte, dass der wissbegierige Fremde eine Gefahr darstellen könnte, wachte Masterji auf und stellte fest, dass er nachts von ihm geträumt hatte.
In diesem Traum, an den er sich einige Minuten nach dem Erwachen wieder eindringlich erinnerte, hatte der Fremde (der eine schwarze Spielkarte anstelle eines Gesichts trug) nach Schwefel gerochen, den Bewohnern des Wohnhauses (einschließlich Masterji) Rätsel aufgegeben, ihm waren Flügel gewachsen, er hatte gelacht und war aus einem der Fenster davongeflogen und alle waren ihm nachgerannt und hatten versucht, ihn mit einem langen Stock niederzuschlagen. Masterji grübelte über seinen Traum nach, bis ihm einfiel, dass einige der Bilder aus einem Buch stammten, das er bis spät in die Nacht gelesen hatte. Er nahm es in die Hand und las weiter.
Der Weg der Seele nach dem Tode (Vikas Publications, Benares):
«In ihrem ersten Jahr außerhalb des Körpers reist die Seele langsam und in geringer Höhe, niedergedrückt von den Sünden ihres weltlichen Seins. Sie fliegt über grüne Felder, gepflügte Felder und kleine Dämme und Deiche. In diesem Stadium ihrer Reise besitzt sie Schwingen ähnlich denen eines Adlers. Dieser Flug dauert das ganze zweite Jahr und auch einen Teil des dritten. Sie sieht, wie das Meer die Farbe wechselt, von Blau zu Dunkelblau, bis es beinahe schwarz ist. Durch diese Farbverdunkelung wird der Seele der Eintritt in das dritte Jahr ihrer langen Reise bewusst …»
Stell dir mit geschlossenen Augen eine menschliche Seele mit dem Antlitz deiner Frau und mit Adlerschwingen vor … ja, mit Augen, Nase, Wangen deiner Frau, der Flügelspannweite eines Adlers, ausgebreitet im Flug über das Meer …
«Insgesamt dauert der Flug der Seele nach dem Tode 777 Jahre. Die Gebete und frommen Gedanken der Verwandten und Freunde aus der Welt der Lebenden haben großen Einfluss auf Verlauf, Länge und Behaglichkeit dieser Reise …»
Yogesh Murthy, genannt Masterji, 61 Jahre alt, angesehener ehemaliger Lehrer der St. Catherine’s Highschool, gähnte und vertrat sich die Beine.
Der Weg der Seele nach dem Tode
landete auf dem Teakholztisch.
Er ging wieder ins Bett. Früher hatten ihn der Tee und das Geplauder und der Duft der frischen Blumen in ihrem Haar aufgeweckt. Er schnupperte in der Luft nach dem Duft von Jasmin.
Hai-ja! Hai-ja!
Die Schreie kamen von unten. Die beiden Söhne von Ajwani dem Makler begannen den Tag mit Taekwondo-Übungen in vollem Kampfdress im Wohnzimmer. Die Söhne von Ajwani waren die Sporthelden des Wohnhauses; der älteste, Rajeew, hatte letztes Jahr einen großen Sieg bei einem Kampfsportwettbewerb errungen. Um seine
Weitere Kostenlose Bücher