Letzter Mann im Turm - Roman
Gelände errichteten und Schilderin Englisch daran anbrachten, haben die Lokalpolitiker verfügt, dass die Gasse, die sich von der Hauptstraße zum Eingangstor des Gebäudes hinabschlängelt, Vishram Society Lane genannt wird.
Die Mangroven sind seit Langem verschwunden. Mittlerweile sind weitere Mittelklassegebäude entstanden – unter diesen ragt laut den örtlichen Immobilienwallahs die Gold Coin Society heraus, aber auch das Ansehen von Marigold, Hibiscus und White Rose steigt und steigt –, und mit der Ankunft des Grand Hyatt, eines Fünfsternehotels, steht die Gegend kurz davor, auf Dauer zum Mittelklasseviertel zu reifen. Nichts davon wäre jedoch ohne die Vishram Society möglich gewesen, und man spricht von dem betagten Gebäude in der gesamten Nachbarschaft mit Ehrerbietung.
Genau genommen besteht Vishram aus zwei unterschiedlichen Wohnungsgenossenschaften, die von einer Grundstücksmauer umschlossen sind. Vishram Society Turm B, der während des Baubooms in den späten 1970ern erbaut wurde, steht in der südöstlichen Ecke des ursprünglichen Areals. Mit seinen sieben Stockwerken ist er das beliebtere Gebäude, und viele junge Führungskräfte, die Arbeit im nahe gelegenen Bandra-Kurla-Finanzzentrum gefunden haben, leben hier mit ihren Familien.
Wenn die Nachbarn an die Vishram Society denken, meinen sie allerdings Turm A. Er steht in der Mitte des Grundstücks, sechs Stockwerke hoch; auf einer in einem Pfeiler des Eingangstors eingelassenen Marmortafel steht in verwitterten Buchstaben:
DIESE GEDENKTAFEL WURDE VON SHRI KRISHNA MENON,
DEM EHRENWERTEN VERTEIDIGUNGSMINISTER INDIENS,
AM 14. NOVEMBER 1959 ENTHÜLLT, DEM GEBURTSTAG UNSERES
GELIEBTEN PREMIERMINISTERS PANDIT JAWAHARLAL NEHRU.
Dann wird es verschwommen, man muss in die Knie gehen und seine Augen anstrengen, um die letzten Zeilen entziffern zu können:
… MENON GEBETEN HAT, SEINE TIEF EMPFUNDENE HOFFNUNG
ZU ÜBERMITTELN, DIE VISHRAM SOCIETY MÖGE ALS BEISPIEL
FÜR «ANSTÄNDIGE BEHAUSUNGEN FÜR ANSTÄNDIGE INDER»
DIENEN.
ERRICHTET VON DEN
MITGLIEDERN DER WOHNUNGSGENOSSENSCHAFT
VISHRAM SOCIETY
EINGETRAGEN UND EINGEMEINDET IN DIE STADT BOMBAY
14.11.1959
Das Äußere dieses Turms, einst rosafarben, ist nun ein regenwasserfleckiges Grau, auch wenn sich Adern der ursprünglichen Farbe an jenen Stellen zeigen, an denen das Dach die Mauern vor dem Monsunregen schützt. Jede Wohnung hat Gitter vor den Fenstern; Geranien, Jasmin und Kaktusstacheln drängen sich durch die rostigen Metallvierecke. Üppige Farne, grün und rötlich grün, ranken sich um einige Fensterecken, lassen sie wie Eingänge schmaler Höhlen erscheinen.
Die rührigeren Bewohner haben in die Verschönerung dieses schäbigen Äußeren investiert; eifrige Hände haben um einige der Fenster Aureolen in die Fassade geschrubbt, die das Mosaik aus Rosa, Schimmelgrau, Schwarz, Zementgrau, Rostbraun, Farngrün und roten Blüten noch komplizierter machen und zu dem sich bis mittags die Tupfer von Bettlaken und Saris gesellen, die zum Trocknen auf die Gitter und Balkone gehängt werden. Vishram Society Turm A, ein altmodisches Gebäude, besitzt keine Eingangshalle, man betritt einen dunklen, quadratischen Eingang und wendet sich nach links (wenn man Mrs Saldanha aus EG C ist oder sie besucht) oder steigt die schmuddelige Treppe zu den Wohnungen in den anderen Stockwerken hinauf. (Es gibt einen Otis-Aufzug, der aber unzuverlässig ist.) Die mit achtzackigen Sternen perforierte Wand des Treppenhauses erinnert an die Abschirmungeines
zenana,
der Wohnbereich der Frauen in einem alten
haveli,
einem Herrenhaus, und deutet geheimnisvolle, ja unheimliche Vorgänge an.
Draußen parken entlang der Grundstücksmauer ein Dutzend Roller und Motorräder, drei Maruti Suzukis, zwei Tata Indicas, ein ramponierter Toyota Qualis und ein paar Kinderfahrräder. Das besondere Merkmal dieses Areals ist ein meterhohes Kreuz aus schwarzem polierten Stein, das in einem Schrein aus glasierten blau-weißen Kacheln steht und mit verwelkenden Blumen und Kränzen bedeckt ist – ein Hinweis, dass dieses Gebäude ursprünglich für Katholiken gedacht war. Hindus wurden Ende der 1960er zugelassen und in den 1980ern dann die besseren Moslems – Bohras, Ismailis, Akademiker. Mittlerweile ist Vishram komplett «kosmopolitisch» (d.h. ethnisch und religiös gemischt). Schräg gegenüber dem schwarzen Kreuz steht das Wachhäuschen, auf dessen Wand Ram Khare, der Hinduwachmann, mit einer Schablone einen Satz aus
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