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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Aufschrift lesen.
    LAUFENDE ARBEITEN
WIR BEDAUERN DIE UNANNEHMLICHKEITEN.
STADTVERWALTUNG MUMBAI
    Ramu folgte ihr, und der Hund folgte Ramu.
    Mrs Puri sah, dass der Verwalter im Wachhäuschen saß, im Besucherbuch las und eine Hand hochhielt, um sich vor der frühen Abendsonne zu schützen.
    «Ram Khare, Ram Khare», sagte er und drehte das Buch zum Wachmann hin. «Da ist heute ein Eintrag von diesem Mann, Ram Khare. Hier.» Er tippte auf den Vermerk des wissbegierigen Besuchers. «Aber …», er blätterte eine Seite zurück, «gestern hat er sich nicht eingetragen.»
    «Worüber redet ihr?», fragte sie.
    Ramu nahm den Streuner mit zum schwarzen Kreuz, wo er spielen würde, bis seine Mutter ihn rief.
    Als der Verwalter den Mann beschrieb, sagte sie: «O ja. Der wargestern da. Morgens. Und er wurde von jemandem begleitet. Einem fetten Mann. Goldringe an allen Fingern. Sie stellten ziemlich viele Fragen. Ein paar habe ich beantwortet und ihnen geraten, mit Mr Pinto zu sprechen.»
    Der Verwalter starrte den Wachmann an. Ram Khare schabte mit seinen langen Fingernägeln über das Besucherbuch.
    «Wenn hier kein Eintrag ist», sagte er, «dann sind diese Männer auch nicht da gewesen.»
    «Was haben die beiden gefragt?»
    «Ob dies ein anständiges Haus sei. Ob die Leute hier anständig seien. Sie wollten, glaube ich, eine Wohnung mieten.»
    Der fette Mann mit den Goldringen hatte Mrs Puri beeindruckt. Er hatte rote Lippen und Zähne, die vom Betelkauen schwarz geworden waren, was darauf hindeutete, dass er aus der Unterschicht stammte, seine Manieren waren allerdings geschliffen, als hätte er eine gute Erziehung gehabt oder sie sich im Laufe seines Lebens angeeignet. Der andere Mann, der große, dunkle, trug ein hübsches weißes Hemd und schwarze Hosen, genau wie ihn der Verwalter beschrieben hatte. Nein, er hatte nicht gesagt, dass er in Chemikalien mache.
    «Vielleicht sollten wir das der Polizei melden», sagte der Verwalter. «Ich begreife nicht, warum er heute noch mal gekommen ist. In der Nähe des Bahnhofs hat es Einbrüche gegeben.»
    Mrs Puri tat eine mögliche Gefahr ab.
    «Das waren beides anständige Männer, höflich, gut angezogen. Der Fette hatte so viele Goldringe an den Fingern.»
    Der Verwalter drehte sich zu ihr um, warf ihr «Männer mit Goldringen sind überhaupt die größten Diebe auf der Welt. Wo haben Sie eigentlich all die Jahre gelebt?» an den Kopf und ging davon.
    Sie verschränkte die dicken Unterarme vor der Brust. «Mrs Pinto», brüllte sie, «lassen Sie den Verwalter bitte nicht entkommen.»
    Gerade tagte, was die Bewohner ihr Sansad, ihr «Parlament»,nannten. Weiße Plastikstühle waren so um den Eingang von Turm A direkt vor Mrs Saldanhas Küche arrangiert worden, dass die Sitzenden durch einen mandelförmigen Riss im grünen Küchenvorhang einen flüchtigen Blick auf einen kleinen Fernseher erhaschen konnten. Eben waren die ersten «Parlamentarier» dabei, sich auf die Plastikstühle zu setzen, auf denen sie ausharren würden, bis es wieder fließend Wasser im Haus gab.
    Ein kleiner, bedächtiger weißhaariger Mann, den das Alter in einen menschlichen Spatzen verwandelt hatte, ließ sich auf einem Stuhl mit direktem Blick auf Vorhangriss und Fernseher nieder (dem «besten Stuhl»). Mr Pinto (2 A), ein pensionierter Buchhalter der Britannia Biscuit Company, litt unter schlechter Durchblutung und lief mit offenem Mund herum. Seine Frau, im Alter beinahe blind geworden, legte ihm beim Gehen die Hand auf die Schulter, obwohl sie das Grundstück so gut kannte, dass sie sich auch ohne die Hilfe ihres Mannes zurechtgefunden hätte. An den meisten Abenden gingen sie gemeinsam spazieren, sie blind und er mit offenem Mund, als saugten sie voneinander Augenlicht und Atemluft. Mithilfe ihres Mannes nahm sie neben ihm Platz.
    «Man hat Sie gebeten, zu warten», sagte Mrs Pinto, als der Verwalter versuchte, sich seinen Weg um die Plastikstühle in sein Büro zu bahnen. Sie war die älteste Frau im Wohnhaus und Mr Kothari hatte keine andere Wahl, als stehen zu bleiben.
    Mrs Puri holte ihn ein.
    «Stimmt das Gerücht, Kothari, über die Morgenkatze und den Müll von 3 B?»
    Nicht zum ersten Mal während seiner Amtszeit verfluchte der Verwalter die Morgenkatze. Sie schlich um die Mülltonnen, die die Bewohner draußen ließen, damit Mary sie morgens einsammelte, und verstreute unterschiedslos Bohnen, Knochen und Whiskyflaschen. Deshalb wussten die Bewohner des Hauses anhand des Mülls, wer

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