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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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für jede Pflanze wie ein meditierender Brahmane mit den Fingern ihrer linken Hand ab. Kleine Regenbogen entstanden im Wasserstrahl, verschwanden, als das Wasser weiterwanderte, und tauchten dann auf den tropfenden Spinnennetzen wieder auf, die die Zweige miteinander verbanden.
    Mrs Pinto ließ den Hibiskusgeruch hinter sich. Nun kam die «Blutstrecke», jene zehn Yards, die vom Gestank rohen Fleisches aus dem Metzgerladen hinter der Wohnungsgenossenschaft durchweht wurden, nur wenig gemildert durch den bei der Mauer wachsenden Jasmin.
    «Das ist Ihr Telefon, Masterji.» Mrs Pinto drehte sich um.
    Sie konnte innerhalb des Gebäudes exakt die Stelle lokalisieren, von der ein Geräusch kam.
    «Das muss wieder Gaurav sein. In dem Augenblick, in dem er Geld bei mir riecht, ruft mich mein Sohn an.»
    Gaurav hatte bereits am Morgen angerufen. Das erste Mal seit Monaten, dass er seinen Vater angerufen hatte. Er erklärte, Tante Sangeeta habe ihm vom Angebot des Bauherrn erzählt.
    «Ich wünschte, Mrs Puri hätte ihn nicht angerufen.»
    «Oh, sie ist wie eine zweite Mutter für den Jungen, Masterji. Lassen Sie sie doch anrufen.»
    Masterji zuckte zusammen, konnte die Tatsache aber nicht abstreiten.
    Jeder in Vishram wusste um Mrs Puris Nähe zu dem Jungen, das war einer der Triumphe ihres Zusammenlebens, eine jener Querverbindungen der Zuneigung, die in einem Genossenschaftshaus entstehen sollen. Selbst nachdem Gaurav wegen seiner Arbeit nach Marine Lines gezogen war, blieb Mrs Puri mit ihm in Verbindung, schickte ihm regelmäßig Pakete mit Erdnuss-Chikki und anderen Süßigkeiten. Sie war es auch, die ihn angerufen hatte, um ihm den Tod seiner Mutter mitzuteilen.
    Masterji sagte: «Ich habe zu Gaurav gesagt, du bist mein Sohn, dies ist dein Zuhause, du kannst mich besuchen, wann immer du willst. Aber es gibt nichts zu diskutieren. Die Pintos haben Nein gesagt.»
    Aus dem Augenwinkel beobachtete er Mrs Pinto, wartete und hoffte, dass auch sie ihn einen «englischen Gentleman» nennen würde.
    Mr Pinto beendete den Rundgang an der Grundstücksmauer entlang und streifte seine
chappals
auf dem Kies vor dem Wachhäuschen ab. Die mageren Hände auf die Hüften gestützt, wartete er auf seine Frau und Masterji und keuchte dabei wie der Sieger eines Greisensprints.
    «Lasst uns gemeinsam Atemübungen machen», sagte er und reichte Shelley den Arm. «Dann werdet ihr euch wieder jung fühlen.»
    Während die drei «Einatmen-Ausatmen-Einatmen» übten, ging der Verwalter mit einem großen Mikrofon an ihnen vorbei, das er beim schwarzen Kreuz hinstellte.
    Um 17 Uhr stand Satish Shah, seit Kurzem der Schrecken aller Autobesitzer in Malabar Hill, vor dem Eingang des heiligsten Hindutempels der Stadt, Siddhi Vinayak in Prabhadevi, und wartete auf seinen Vater.
    Mit der neuesten Ausgabe der Zeitschrift
Muscle-Builder
in seiner Rechten machte er mit der linken Hand hinter dem Kopf Trizepscurls.
    Er hielt inne, blätterte um und machte noch ein paar Wiederholungen mit der linken Hand.
    Mit der rechten Hand berührte er seine Nase. Sie tat immer noch weh.
    Es war nicht seine Idee gewesen, die Autos zu besprühen. Den anderen hatte er gesagt, dass die Polizei das in der Innenstadt nie dulden würde. Lasst uns in die Vororte gehen, nach Juhu oder Bandra. Dort konnte man ein fürstliches Leben führen. Aber hatte man auf ihn gehört?
    Aber was hatten sie denn eigentlich gemacht? Ein paar Autos und einen Lastwagen besprüht. Nichts im Vergleich zu dem, was sein Vater in seinem Metier veranstaltete.
    Der Scheißkerl arbeitet im Baugewerbe,
dachte Satish,
und hat den Nerv, mir zu sagen,
ich
sei der Übeltäter der Familie.
    Beim Gedanken an seinen Vater führte er die Trizepscurls schneller durch. Er kaute Betel wie ein Mann vom Land. Er trug zu viele Goldringe. Seine englische Aussprache war nicht besser als die Giris.
    Satish spürte, wie ihn jemand am Arm packte.
    «Das tut man hier nicht. Du sollst zu Gott beten und an deine Mutter denken.»
    Shah zog den Arm seines Sohnes zurecht und schubste ihn in den Tempel. Shanmugham folgte ihnen.
    Der Tempel war überfüllt wie zu jeder Tageszeit, aber Ganesh war für die Gesetze der freien Marktwirtschaft empfänglich, und so gelangten die drei über den «Expresszugang» für jene, die es sich leisten konnten, pro Kopf 50 Rupien zu zahlen, in das Allerheiligste.
    «In ein paar Tagen wirst du siebzehn. Weißt du, was ich gemacht habe, als ich in deinem Alter war? Hast du an die Leute gedacht, deren

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