Leuchtfeuer Der Liebe
müsse diese fremde Person wegen einer blöden Fabel über das Meer behalten. So ein Quatsch. Das ist genauso verrückt wie ..."
„Wie mit deinem Pferd zu sprechen?" fragte eine Stimme auf dem Gehweg hinter Jesse.
Er drehte sich mit finsterer Miene um. „D'Artagnan wird in der Stadt ziemlich nervös, Judson."
Judson Espy, der Hafenmeister, verschränkte die Arme vor der Brust, wippte auf den Fersen und nickte ernsthaft. „Ich wäre auch nervös, wenn man mir einen französischen Namen gegeben hätte."
„D'Artagnan ist der Anführer der drei Musketiere."
Judson machte ein verständnisloses Gesicht.
„Das ist ein Roman."
„Aha. Wenn der Klepper so verdammt nervös ist, könntest du ihn ja mir überlassen."
„Seit zehn Jahren versuchst du nun, mir das Pferd abzuschwatzen."
„Und du sagst seit zehn Jahren Nein."
„Dann frage ich mich, wieso du immer wieder davon anfängst." Jesse streichelte den kraftvollen Hals des Wallachs. D'Artagnan war an einem Tiefpunkt seines Lebens zu ihm gekommen, als er beinahe entschlossen war aufzugeben ... alles aufzugeben. Ein Chinook-Indianer hatte ihm den halb wilden Einjährigen verkauft, und Jesse hatte aus ihm das beste Pferd im ganzen Territorium gemacht. Im Laufe der Jahre hatte er drei weitere Pferde angeschafft - Artos, Portos und Aramis hatten das Quartett der Musketiere vervollständigt.
Er ging neben Judson her. Die schweren Stiefel der Männer polterten auf den Holzplanken des Gehsteigs. Als sie den Gemischtwarenladen passierten, verließ die Witwe Hestia Swann den Laden, stattlich wie eine Barkasse. Zwischen Daumen und Zeigefinger ihrer behandschuhten Hand hielt sie affektiert das hauchdünne Gespinst eines Taschentuchs. Ihren Kopf zierte ein ausladendes Gebilde, mehr Blumenstrauß als Hut.
„Guten Tag, Mr. Espy." Und merklich kühler fügte sie hinzu: „Ach, und Mr. Morgan. Welch eine seltene Ehre."
Jesse nahm an ihrer kühlen Haltung keinen Anstoß. Für die meisten Bewohner von Ilwaco war er auch nach zwölf Jahren noch ein Fremder.
„Mrs. Swann", erwiderte er ihren Gruß und zog seinen geölten Leinenhut.
Ein verkrampftes Lächeln huschte über ihre Lippen. Mrs. Swann legte großen Wert auf gesellschaftlichen Status und behandelte ihn mit ausgesuchter Höflichkeit - wegen seiner Familie in Portland.
Als ob das noch eine Rolle spielen würde.
„Wie gehts, Ma'am?" Judson wollte ein Gespräch beginnen, und Jesse machte sich auf den Rückzug.
Die Dame fächelte sich mit dem Spitzentüchlein Luft zu. „Danke der Nachfrage, Mr. Espy, nicht sehr gut. Seit mein lieber Sherman auf See geblieben ist, leide ich an Schwermut. Das ist nun erst zwei Jahre her, doch es kommt mir vor wie eine Ewigkeit."
„Tut mir Leid, das zu hören, Ma'am. Trotzdem einen schönen Tag noch." Judson beeilte sich, Jesse einzuholen. „Was ist eigentlich an dem Gerede dran, du hättest eine Frau bei dir aufgenommen?"
Er hatte absichtlich die Stimme erhoben, daran hatte Jesse keinen Zweifel. Hestia Swann, die ihren zweirädrigen Studebaker ansteuerte, blieb stocksteif stehen, als habe ihr jemand einen Besenstiel in den Rücken gerammt. Ihr Fischbeinkorsett knackte, als sie sich umdrehte und die beiden Männer empört anstarrte.
„Wie bitte?" entrüstete sie sich. „Mr. Morgan lebt mit einer Frau zusammen?"
Judson nickte, und seine Augen blitzten belustigt. „Ja. Das hat er gerade seinem Pferd erzählt."
„Grundgütiger! Wieso sollte er mit seinem Pferd reden?"
„Weil er Jesse Morgan ist."
„Und er ist nicht taub", mischte Jesse sich gereizt ein.
„Schweigen Sie", fuhr Mrs. Swann ihn an. „Es schickt sich nicht, mit einer Frau zusammenzuleben ..."
„Ich lebe nicht mit ihr zusammen ..."
„Aha! Dann gibt es also doch eine Frau!" entrüstete Mrs. Swann sich.
„Was ist hier los?" Abner Cobb trat aus seinem Laden. In den vollen Taschen seiner Arbeitsschürze klimperten Nägel und Schrauben.
Jesse bezwang seinen Wunsch, in D'Artagnans Sattel zu springen und das Weite zu suchen.
„Jesse Morgan lebt mit einer Frau zusammen", verkündete Hestia Swann mit schriller Stimme.
Der breit grinsende Abner schlug Jesse auf den Rücken. „Wurde ja auch Zeit. Solange ich dich kenne, habe ich dich nie mit einer Frau gesehen."
„Ich bin mit keiner Frau zusammen", sagte Jesse, dem niemand mehr zuhörte. Weitere Passanten hatten sich der kleinen Gruppe zugesellt, und alle redeten über die unschicklichen Vorgänge auf der Leuchtturmstation aufgeregt durcheinander. Abners
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