Level X
einen Sohn in seinen A r m en.
Charlie war leichen b la s s, aber er lebte. Und er war unverletzt, wie ich f e ststellte, als er sich an m i ch klam m erte und sein Schluchzen m einen Körper zum Beben brachte.
Ich erinnere m i ch nicht, ob ich C harlie an je m anden weitergab oder ob ihn m i r j e m and sanft aus den A r m en nah m . Ich glaube, in Augenblicken wie diesen verstehen die Menschen sich auf beinahe übersinnliche Art und Weise. Sie sagen und tun D i nge, ohne darüber nachzudenken, und das m it einer Selbstverständlichkeit, die m an un t er nor m alen U m ständen oft ve r m isst. Charlie wurde von m i r weggebracht, da m it m an sich um ihn küm m ern konnte, und er wusste, d a ss es so richtig war. Er weinte nic h t, klam m erte sich nicht an m i ch, wusste einfach, was zu tun war.
Ich wandte m i ch Anne zu. S i e konnte den Kopf nur ein ganz klein wenig bewegen, kaum mehr als ein paar Zenti m eter; aber unsere Blicke trafen sich, und sie erkannte an der Verzweiflung in m einen Augen, dass sie sterben würde.
Ihre Lippen bewegten sich, und ich beugte m i ch näher zu i h r. Sie v ersuchte je d och gar nicht, m i r etwas zu sagen, sondern schenkte m i r nur ein letztes, schwaches Lächeln, einen liebevollen Abschiedsgruß, der m i r Mut m a chen, der m i r zeigen sollte, dass sie wusste, was m it ihr geschah, und dass sie es hinnah m .
Die Qual, Anne nicht in den A r men halten zu können, während sie im Sterben lag, w a r un e rträ g l ich, a b er sie war in einem schraubstockähnlichen Sarg aus Stahl gefangen, der m i ch zum hilflosen Beobachter verdam m t e. Irgendwo in der Ferne hörte ich eine Sirene näher kom m en, dann eine S tim m e , die sagte, es würde wohl Stunden dauern, bis m an sie aus dem Wrack geschnitten hätte.
Aber wir hatten keine Stund e n m ehr. Uns blieben nur noch Minuten. Vielleicht Sekunden.
Ich s t rec k te m eine Hand aus, u m ihr Gesicht zu berühren, ganz sachte, als könne schon diese eine Berührung ihr die Sch m erzen zurückbringen, die sie, dem H i m m el sei Dank, hinter sich gelassen zu haben schien. Doch sie gab nur einen leisen, beinahe wohligen Seufzer von sich, als m eine Fingerspitzen ihre W angen und Lippen streichelten. Ich beugte m i ch vor, um sie zu küssen, doch in diesem Augenblick brach ihr Blick. W o eben noch Gelassenheit und Ruhe geherr s cht hatten, war jetzt nur noch die Leere des Todes.
Ein Sch m erzensschrei brach a u s m i r heraus, tief aus m ein e m Innersten kom m end, geboren aus einem G e fühl des uner m esslichen Verlustes. Ich sackte nach vorne, und dabei bekam ich durch Zufall ihre Hand zu fassen. Anne musste sie beim Au f prall in einer i n stinktiv e n Abwehrbewegung vor sich gehalten haben, und nun ragte sie, die Fin g er ges p reizt, aus dem entsetzlich e n gen Spalt zwischen dem zerbeulten Met a ll und Annes Sitz hervor.
Die Menschen um uns herum ließen uns in Ruhe. Sie wussten, d a ss ich in m einem Sch m erz di es en stillen Augenblick brauchte, in dem m i r die Tränen hemmungslos die W angen hinunterlie f en und m ein ganzer Körper bebte. Dann spürte ich Hände, die m i ch ganz sachte berührten und vom W r ack fortzogen.
Ich versuchte m i r einzureden: Ja, wehr dich nicht, sie tun das Richtige. Verdirb nicht Annes würdevollen Abschied m it einer egoistischen Zurschaustellung deiner eigenen Qualen.
Tu, was zu tun ist! Denk an deinen Sohn, er ist allein, und er braucht dich.
Aber ich hatte nicht m it der Wut gerechnet, der sinnlosen, rasenden Wut, d i e wie ein loderndes Feuer durch m i ch hindurchf u hr. Gegen m einen W illen beu g te ich m i ch noch weiter vor und klam m erte m i ch an das, was von Anne übrig geblieben war, verschloss die Augen vor der W ahrheit, die ich nicht zu ertragen ver m o c hte. W i e in extre m er Z eitlupe beugte ich m einen Kopf zurück und stieß einen Schrei a us , m itten hi nein in m ein eige n es düsteres Universum aus Sch m erz und W ut: einen Schrei, der von m ein e m unbändigen Trotz zeugte, vom pri m itiven, unwillkü r li c hen Au f l ehnen der Kre a tur gegen das Schicksal.
Und i m gleichen Augenblick spürte ich, wie Annes Hand zuckte. Zuerst wagte ich nicht, die Augen zu öffnen. Ich wusste, dass ich träu m t e, und ich wollte nicht erwachen aus dies e r verzwei f elte n , illus o ri s c h en Hof f nung, dass ich m i ch geirrt hatte und A nne noch im m er lebte.
Dann hörte ich ihre Sti mm e: » H ol mich hier raus, bevor das Ding umkippt. Richard, hilf mir!
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