Leviathan - Die geheime Mission

Lederriemen des Gurtzeugs und hörte das Dröhnen von Motoren.
    Sie riss die Augen auf.
    Ein riesiges Flugtier schwebte aus den grauen Wolken hinter ihr hervor. Die silbrige Oberseite glänzte in der Sonne.
    Das Ding war gigantisch – größer als die St. Paul’s Cathedral, länger als das Großkampfseeschiff Orion, das sie vor einigen Wochen auf der Themse gesehen hatte. Der glänzende Rumpf war wie ein Zeppelin geformt, doch seine Flanken zitterten mit der Bewegung seiner Wimpern, und Schwärme von symbiotischen Fledermäusen und Vögeln umflatterten es.
    Der Huxley stieß einen unglücklichen Pfiff aus.
    »Nein, Tierchen. Keine Angst!«, rief Deryn leise. »Die sind doch hier, um uns zu helfen!«
    Jedenfalls nahm Deryn das an. Allerdings hatte sie nicht mit einem so großen Retter gerechnet.

    Das Luftschiff kam näher, bis Deryn die Gondel ausmachen konnte, die unter dem Bauch hing. Die fußgroßen Buchstaben unter dem Brückenfenster verrieten seinen Namen: Leviathan.
    Deryn schluckte. »Und brüllend berühmt sind unsere Freunde auch noch.«
    Die Leviathan war der erste große Wasserstoffatmer, der je erschaffen wurde, um es mit den Zeppelinen des Kaisers aufzunehmen. Ein paar Tiere waren seitdem noch größer geworden, doch kein anderes hatte die Reise nach Indien und wieder zurück geschafft und dabei die deutschen Luftschiffrekorde gebrochen.
    Der Körper der Leviathan bestand aus den Lebensketten eines Wals, doch in diese Schöpfung waren außerdem nahezu hundert andere Spezies mit eingegangen, zahllose Wesen, die sich zusammenfügten wie die Zahnräder einer Stoppuhr. Schwärme von Vogelschöpfungen umflatterten ihn – Kundschafter, Kämpfer und Räuber, die Nahrung herbeischafften. Deryn sah Boteneidechsen und andere Tiere, die über die Haut der Leviathan krabbelten.
    Ihrem Handbuch der Aeronautik zufolge wurden die großen Wasserstoffatmer auf den winzigen südamerikanischen Inseln entworfen, wo Darwin seine berühmten Entdeckungen gemacht hatte. Die Leviathan war kein einzelnes Lebewesen, sondern ein riesiges Wirrwarr aus Leben, das sich in einem stets im Wandel befindlichen Gleichgewicht befand.

    »Die Leviathan im Anflug.«

    Die Motivatormotoren heulten auf und hoben die Nase des Wesens in die Höhe. Das Flugtier gehorchte, und die Wimpern entlang der Flanken wogten wie ein Grasmeer im Wind – das Heer der kleinen Ruder bewegte sich rückwärts und brachte die Leviathan fast zum Halt.
    Die riesige Gestalt schwebte langsam über Deryn und den Huxley hinweg und verdunkelte den Himmel. Der Bauch war grau gesprenkelt, zur Tarnung bei nächtlichen Überfällen.
    Im Schatten wurde es plötzlich kühl und Deryn starrte wie bezaubert nach oben. Dieses gigantische, fantastische Wesen war gekommen, um sie zu retten.
    Erneut ging ein Zittern durch den Huxley, der sich zu wundern schien, wohin die Sonne verschwunden war.
    »Pst, Tierchen. Ist doch nur dein großer Vetter.«
    Von oben hörte Deryn Rufe und sah Bewegungen.
    Ein Seil wurde herabgelassen und wickelte sich neben ihr ab. Ein zweites und dann ein Dutzend weitere folgten, bis Deryn von einem Wald schwankender Seile umzingelt war.
    Sie reckte sich nach einem, doch die Größe des Gassacks ihres Huxleys machte es ihr unmöglich, es zu erreichen. Deryn schaukelte im Gurtzeug hin und her und versuchte, näher heranzukommen.
    Ihre Bewegungen brachten den Huxley dazu, die Tentakel zusammenzuschlingen, was in einem entsetzlichen Satz nach unten endete.

    »Aye, jetzt möchtest du plötzlich kopfüber landen?«, beschwerte Deryn sich. »Du bist einfach nur nutzlos.«
    Wieder veränderte sich der Klang der Luftschiffmotoren. Die baumelnden Seile folgten ihnen, waren jedoch immer noch außer Reichweite. Aber dann brummten die Motoren oben mit einem gleichmäßigen Rhythmus höher und tiefer … und die Seile baumelten im gleichen Takt.
    Der Pilot da oben war jedenfalls nicht dumm.
    Die Seile schaukelten mit dem Aufheulen der Motoren. Deryn streckte einen Arm so weit aus, wie sie konnte … und endlich erwischte sie eines. Sie zog es zu sich heran, knotete es an dem Ring über ihrem Gurtzeug fest – und runzelte die Stirn.
    Würde man sie nach oben in die Gondel holen? Aber dann würde der Huxley auf den Kopf gestellt?
    Doch das Seil blieb schlaff und ein paar Augenblicke später kam eine Boteneidechse zu ihr heruntergekrabbelt. Die winzigen Hände mit den Schwimmhäuten umfassten das Seil wie einen dünnen Ast. Im Schatten unter dem Luftschiff schien die