Leviathan - Die geheime Mission
ersten Tag hatte er kein einziges Mal mehr geweint. Sein Elend
hatte er in einem kleinen Winkel tief in sich verborgen. Das schreckliche Gefühl vollkommener Leere befiel ihn nur noch, wenn er allein Wache hielt, während die anderen schliefen.
Und selbst dann gelang es Alek, die Tränen eisern zu unterdrücken.
»Ich bin kein Kind mehr«, sagte er.
»Ich weiß.« Volgers Ton wurde milder. »Aber Ihr Vater hat mich gebeten zu warten, Alek, und ich beabsichtige, seine Wünsche zu respektieren. Wecken Sie die Männer und nach dem Frühstück werden wir eine Fechtstunde abhalten. Sie müssen Ihre Reflexe schärfen, denn am Nachmittag stehen Sie am Steuer.«
Alek starrte Volger noch einen Moment lang an, dann nickte er schließlich. Er wünschte sich förmlich, eine Waffe in der Hand zu halten.
»En garde, wenn es beliebt.«
Alek hob den Säbel und nahm Fechtstellung ein. Volger umkreiste ihn aus der Nähe und nahm sich, wie es schien, mindestens eine Minute, um Aleks Haltung zu begutachten.
»Mehr Gewicht auf den hinteren Fuß«, sagte er schließlich. »Ansonsten akzeptabel.«
Alek verlagerte sein Gewicht und seine Muskeln begannen bereits zu verkrampfen. Die langen Tage in der Pilotenkanzel hatten ihn um seine Form gebracht. Die Fechtstunde würde ihm Schmerzen bereiten.
Aber Schmerz war ja stets das Ziel von Graf Volger. Als Alek im Alter von zehn Jahren mit dem Unterricht begonnen hatte, hatte er gedacht, Fechten wäre aufregend. Doch in den ersten Lektionen hatte er nichts anderes getan, als stundenlang reglos dazustehen, und Volger hatte ihn verspottet, wann immer sein ausgestreckter Arm zu zittern begann.
Immerhin durfte er jetzt, mit fünfzehn, die Klingen kreuzen.
Volger nahm ebenfalls Fechtstellung ein.
»Zuerst langsam. Ich rufe die Paraden auf«, sagte Volger und begann anzugreifen, wobei er die Namen der Verteidigungsbewegungen rief, wenn er zuschlug. » Terz … noch einmal Terz. Jetzt Prim. Das ist entsetzlich, Alek. Die Klinge ist zu weit unten! Zwei in der Terz. Jetzt rückwärtsgehen und decken. Jetzt Quart. Einfach schrecklich. Noch einmal …«
Der Graf setzte seine Angriffe fort, doch sagte er jetzt nichts mehr an und verließ sich ganz darauf, dass Alek seine Parade selbst wählen würde. Die Säbel trafen aufeinander. Beide Kämpfer wirbelten mit ihren Schritten Staub auf, der in die durch die Scheune leuchtenden Sonnenstrahlen stieg.
Es war ein eigenartiges Gefühl, in Bauernkleidung zu fechten – und ohne Diener, die bereitstanden, um Wasser und Tücher zu bringen. Mäuse huschten zwischen ihren Füßen herum und der riesige Sturmläufer wachte über sie wie ein eiserner Gott des Krieges. Alle paar Minuten rief
Graf Volger »Halt!« und starrte hinauf zu der Maschine, als hoffe er, in ihrem stoischen Schweigen die Geduld zu finden, um Aleks unbeholfene Technik zu ertragen.
»Übungen.«
Am Ende seufzte er dann immer und sagte: »Und jetzt noch mal von vorn …«
Alek spürte, wie sich seine Konzentration verbesserte, während sie fochten. Anders als im Fechtsaal daheim gab es hier keine Spiegel an den Wänden, und Klopp und die anderen Männer waren zu sehr damit beschäftigt, die Motoren des Läufers zu inspizieren, um ihnen zuzuschauen. Außer dem Klirren der Klingen und dem Scharren der Schuhe gab es keine Ablenkungen.
Ihr Kampf wurde zunehmend verbissener, und Alek fiel plötzlich auf, dass sie gar keine Masken trugen. Schon oft hatte er darum gebeten, ohne den Schutz fechten zu können, aber seine Eltern hatte es nicht erlaubt.
»Warum Serbien?«, fragte Volger plötzlich.
Alek fiel aus der Fechtstellung. »Verzeihung?«
Volger drückte Aleks halb erhobene Klinge zur Seite und landete einen Treffer am Handgelenk.
»Was zum Teufel?«, fluchte Alek und rieb sich die Hand. Die Schneide des Sportsäbels war stumpf, trotzdem verursachte so ein Treffer leicht einen blauen Fleck.
»Nehmen Sie die Klinge nicht herunter, solange es der Gegner nicht ebenfalls tut, Hoheit. Nicht in Zeiten des Krieges.«
»Aber Sie haben mich gefragt …«, begann Alek, seufzte und hob den Säbel. »Gut. Weiter.«
Der Graf ließ abermals Hiebe auf ihn niederhageln und drängte rückwärts. Den Regeln des Kampfes zufolge beendete der Kontakt mit der Waffe des Gegners einen Angriff. Doch Volger ignorierte die Paraden und setzte brutale Kraft ein, um an Boden zu gewinnen.
»Warum Serbien?«, wiederholte der Graf und drängte Alek auf die hintere Wand der Scheune zu.
»Weil die Serben
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