Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)

zu werfen.
    Die Wächter sagten etwas, das er im Vakuum auf der Brücke nicht verstehen konnte, und die Crewmitglieder der Scopuli machten entsetzte Mienen. Dann begann der Kapitän zögernd, die Uniform auszuziehen. Sie entkleideten die Gefangenen. Miller schüttelte den Kopf.
    »Ein schlechter Plan.«
    »Was?«, fragte Holden.
    »Nichts weiter, schon gut.«
    Julie rührte sich nicht. Einer der Wächter stemmte die Beine gegen die Wand und bewegte sich auf sie zu. Julie, die vielleicht vergewaltigt worden war oder etwas anderes Schlimmes erlebt hatte. Die Jiu-Jitsu gelernt hatte, um sich sicherer zu fühlen. Vielleicht dachten sie, das Mädchen sei nur schüchtern. Vielleicht hatten sie Angst, es habe unter der Kleidung eine Waffe verborgen. Wie auch immer, sie wollten sie zwingen. Einer der Wächter stieß sie, und sie klammerte sich an den Arm, als hinge ihr Leben davon ab. Miller zuckte zusammen, als der Ellbogen des Mannes in die falsche Richtung abknickte, aber er lächelte auch.
    Das ist mein Mädchen, dachte er. Zeig’s ihnen.
    Das tat sie. Fast vierzig Sekunden lang glich die Luftschleuse einem Schlachtfeld. Sogar einige Crewmitglieder der Scopuli schalteten sich jetzt ein. Doch dann stieß sich hinter Julie ein breitschultriger Mann von der Wand ab. Miller spürte es körperlich, als die Hand, die in einem schweren Handschuh steckte, Julies Schläfe traf. Sie war nicht bewusstlos, aber benommen. Die Bewaffneten zogen sie kalt und effizient aus, und als sie keine Waffen fanden, gaben sie ihr einen Overall und stießen sie in einen Spind. Die anderen führten sie ins Schiff. Miller prägte sich den Zeitstempel ein und wechselte die Perspektive.
    Die Gefangenen wurden zur Messe geführt und an die Tische gefesselt. Ein Wächter redete etwa eine Minute mit ihnen, doch da er das Visier nicht öffnete, hatte Miller nur die Reaktionen der Crew, um zu erraten, was er sagte. Sie starrten mit aufgerissenen Augen, ungläubig und verwirrt, zornig und voller Angst. Es war nicht zu erkennen, was der Wächter ihnen erzählt hatte.
    Er spulte weiter.
    Hundertdreißig Sekunden später lehnten sich zwei aus der Crew der Scopuli auf. Miller bemerkte es an der Körpersprache, ehe die Gewalt wirklich ausbrach. Er hatte schon öfter Krawall in Arrestzellen gesehen. Die Gefangenen hatten immer die gleichen mürrischen und zugleich aufgeregten Mienen gehabt. Das Video zeigte den Teil der Wand, wo er die Einschusslöcher bemerkt hatte. Sie waren noch nicht da. Ein Mann mit einem Tablett voller Essensrationen kam ins Bild.
    Jetzt geht es los, dachte Miller.
    Der Kampf war kurz und brutal. Die Gefangenen hatten keine Chance. Miller sah zu, wie sie einen von ihnen – es war ein Mann mit hellblonden Haaren – zur Luftschleuse schleppten und hinauswarfen. Die anderen wurden in schwere Ketten gelegt. Einige weinten. Miller spulte weiter.
    Es musste doch irgendwo sein. Der Augenblick, in dem es – was es auch war – die Besatzung angegriffen hatte. Doch entweder war es in den Mannschaftsquartieren ausgebrochen, die nicht überwacht wurden, oder es war von Anfang da gewesen. Fast genau hundertsechzig Stunden nachdem sie Julie in den Spind gesperrt hatten, taumelte ein Mann in weißem Overall mit glasigen Augen und auf wackligen Beinen aus den Mannschaftsquartieren und erbrach sich auf einen der Wächter.
    »Verdammt!«, rief Amos.
    Miller hatte den Sitz verlassen, ehe er es überhaupt selbst bemerkte. Holden war nicht viel langsamer.
    »Amos?«, rief Holden. »Berichten Sie.«
    »Moment«, meldete sich Amos. »Ja, alles klar, Käpt’n. Diese Mistkerle haben einen Teil der Reaktorverkleidung entfernt. Er läuft jetzt, aber ich habe ein bisschen mehr Strahlung eingefangen, als mir lieb ist.«
    »Gehen Sie zurück auf die Rosinante «, sagte Holden. Miller prallte gegen eine Wand und stieß sich in Richtung der Station ab.
    »Verzeihung, Sir, es ist ja nicht gerade so, dass ich gleich Blut pisse oder so was«, widersprach Amos. »Es war eher Überraschung als alles andere. Wenn ich mich komisch fühle, kehre ich sofort zurück, aber wenn Sie mir noch ein paar Minuten Zeit geben, kann ich in der Werkstatt arbeiten und uns sogar etwas Atmosphäre verschaffen.«
    Miller beobachtete Holden, der mit sich rang. Der Kapitän konnte einen direkten Befehl erteilen oder die Sache auf sich beruhen lassen.
    »In Ordnung, Amos. Aber sobald Ihnen schwindlig wird oder so, egal was, kehren Sie zurück und gehen in die Krankenstation.«
    »Aye, aye«,