Leviathan erwacht - Corey, J: Leviathan erwacht - Leviathan Wakes (The Expanse Series Book 1)
worden.«
»Können Sie ihn wieder hochfahren?«
»Ich müsste Diagnoseprogramme laufen lassen«, wandte Amos ein. »Es könnte einen guten Grund für die Abschaltung geben, und den möchte ich nicht auf die unangenehme Weise erfahren.«
»Gutes Argument.«
»Aber ich kann uns wenigstens … etwas … nun komm schon, du Miststück.«
Überall auf dem Deck zündeten blauweiße Lampen. Die plötzliche Helligkeit blendete Miller eine halbe Sekunde. Als er wieder sehen konnte, war er zunächst verwirrt. Naomi keuchte, Holden stieß einen kleinen Schrei aus. Auch Miller hätte beinahe aufgeschrien. Er unterdrückte den Impuls. Es war einfach nur ein Tatort, es waren einfach nur Leichen.
Aber ganz so einfach war es nicht.
Vor ihm stand der stumme, schweigende Reaktor. Ringsherum eine Schicht aus menschlichen Körperteilen. Er konnte Arme erkennen. Hände, deren Finger so weit gespreizt waren, dass ihm schon der Anblick Schmerzen bereitete. Eine S-förmig gekrümmte Wirbelsäule, Rippen, die an die Beine verrückter Insekten erinnerten. Er versuchte, im Geiste zu ordnen, was er sah. Es war nicht das erste Mal, dass er grausam verstümmelte Leichen betrachten musste. Er wusste, dass das lange Seilknäuel links neben dem Körper die Eingeweide waren. Er sah die Stelle, wo sich der Dünndarm weitete und in den Dickdarm überging. Ein Schädel starrte ihn an.
Aber dann entdeckte er zwischen den bekannten Überbleibseln von Tod und Verstümmelung noch andere Dinge: die Spiralen von Perlbooten, breite Fächer weicher schwarzer Fäden, eine helle Fläche von etwas, das Haut sein mochte, in die ein Dutzend Kiemenöffnungen geschnitten waren, halb ausgeformte Gliedmaßen, die zugleich an ein Insekt und an einen Fötus erinnerten, aber weder das eine noch das andere waren. Das gefrorene tote Fleisch umgab den Reaktor wie eine Orangenschale. Die Crew des Stealthschiffs, vielleicht auch die der Scopuli .
Alle bis auf Julie.
»Ja«, bemerkte Amos. »Das könnte etwas länger dauern als gedacht, Käpt’n.«
»Schon gut«, erwiderte Holden. Selbst über Funk hörte man noch, dass seine Stimme bebte. »Sie müssen das nicht tun.«
»Es ist kein Problem. Solange diese Monster da nicht die Reaktorhülle zerstört haben, sollte er einwandfrei hochlaufen.«
»Macht es Ihnen denn nichts aus, in der Nähe von … von dem da zu sein?«, fragte Holden.
»Ehrlich gesagt denke ich gar nicht weiter darüber nach. Geben Sie mir zwanzig Minuten, und dann sage ich Ihnen, ob wir Strom haben, oder ob wir ein Kabel von der Rosinante legen müssen.«
»In Ordnung«, stimmte Holden zu. Die Stimme klang wieder kräftiger. »In Ordnung, aber rühren Sie das Zeugs da nicht an.«
»Ganz bestimmt nicht«, versprach Amos ihm.
Sie schwebten durch die Luke zurück, zuerst Holden und Naomi, dann Miller.
»Ist das …« Naomi hustete und setzte noch einmal an. »Ist das hier auch auf Eros passiert?«
»Wahrscheinlich«, sagte Miller.
»Amos«, meldete sich Holden, »haben Sie genug Ladung in den Batterien, um die Computer zu aktivieren?«
Es gab eine Pause. Miller holte tief Luft. Der Geruch nach Plastik und Ozon aus der Luftversorgung des Anzugs stieg ihm in die Nase.
»Ich glaube schon«, sagte Amos unsicher. »Aber wenn wir vorher vielleicht den Reaktor hochfahren könnten …«
»Erst die Computer.«
»Sie sind der Boss, Käpt’n«, lenkte Amos ein. »Es müsste in fünf Minuten erledigt sein.«
Schweigend schwebten sie zur Luftschleuse und weiter zur Zentrale empor. Miller ließ sich zurückfallen und beobachtete, wie Holden zuerst näher neben Naomi flog und sich dann wieder von ihr entfernte.
Beide waren zugleich fürsorglich und kopfscheu. Eine schlechte Kombination, dachte Miller.
Julie wartete in der Schleuse. Natürlich nicht sofort. Miller schwebte in den Raum hinein und durchdachte alles, was er wahrgenommen hatte, als arbeitete er an einem Fall. An einem ganz normalen Fall. Sein Blick wanderte zum zerstörten Spind, in dem sich kein Anzug befand. Im Geiste sprang er nach Eros zurück und betrachtete das Zimmer, in dem Julie gestorben war. Dort hatte ein Raumanzug gelegen. Auf einmal war Julie wieder bei ihm und zwängte sich aus dem Spind heraus.
Was hast du da getan?, fragte er.
»Kein Bau«, sagte er laut.
»Was?«, fragte Holden.
»Ist mir gerade aufgefallen«, ergänzte Miller. »Das Schiff hat keine Arrestzellen. Es ist nicht geeignet, Gefangene zu transportieren.«
Holden grunzte zustimmend.
»Also ist die Frage,
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